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Karl Henckell (1864-1929) · Titel · Beliebteste

Ein Oster-Requiem

Der Jünger am Grabe

Was stehst du trauernd,
Ewiger Sehnsucht Freund,
Am Grab des Liebsten,
Welchen der Tod verschlang?
Was birgst dein Haupt du,
Schmerzbeschattet,
Und suchst des Menschen
Göttlich Antlitz,
Ach, vergebens?

Der selbst sein Kreuz trug,
Dornengekrönter Held,
Gepeitscht mit Ruten,
Weil in der Wahrheit Wehr
Er zeugen musste
Wider Weltwahn
Vom innern Himmel-
Reich der Liebe,
Fürst des Lebens.

Der auch der Schönheit
Rose gesegnet – sieh!
Die Schwester brachte
Blühenden Abschiedsgruß
Dem sonnenmilden
Herzerlöser.
Betaut von Tränen
Irrt Maria
Bleich im Garten...

Auf Schöpferschwingen
Freudegefilden zu,
Du gramgebeugter
Freund des Erhabenen,
Schwebt der geschmähte
Menschen-Meister
Und thront zur Rechten
Gottes, wo die
Strahlend-Unsterblichen warten.

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Einem fernen Freunde

Mit dem »Du« im Herzen darf man schweigen,
Um so tiefer dann sein Innres zeigen,
Wenn die Stunde kommt, da ganz allein
Leben sich dem Leben drängt zu weihn...
Und es ist ein still beständig Wissen,
Und es ist ein ruhiges Vertrauen:
Unser Freundeskranz wird unzerrissen
Schweben in Maienlüften wie in rauhen
Sturmesnächten schlimmeren Geschicks...
Nein, es ist kein Rausch des Augenblicks,
Wie ihn rasches Jugendblut verdampft,
Keine Traumsaat, die der Tag zerstampft –
Wir belauschen unser altes Spiel
Und gedenken und besinnen viel...

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Gewitter

Es wetterleuchtet durch die Nacht,
Die Donner, sie rollen von ferne,
Die Wolken stürmen zur wilden Schlacht,
Und ängstlich verlöschen die Sterne.
Es jagt und wettert und kracht und braust,
Wie wenn in Lüften der Böse haust -
Was schmiegst du dich an mich mit Zittern?
He, holla! Mich freut das Gewittern.

Kennst du das Leben, mein liebes Kind?
Ach nein, du tändelst in Träumen.
Oft stürmt durch das Leben der Wirbelwind
Und reißt an den knorrigsten Bäumen.
Unter Donner und Blitzen, in stürmischer Nacht
Schlägt der Mensch mit dem Schicksal die lustige Schlacht.
Was schmiegst du dich an mich mit Zittern?
He, holla! Mich freut das Gewittern.

Wie brannte die Sonne so heiß und so dumpf!
Die Bäume, sie rangen nach Odem;
Nun flutet es feucht, und der dürrste Stumpf
Saugt ein den köstlichen Brodem.
Wenn träge die Sonne das Leben verbrennt,
Willkommen dann, schlagendes Element!
Lass ab von Zagen und Zittern,
He, holla! Mich freut das Gewittern.

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Komm, o Pfingsten!

Pfingsten, ich suche dich,
Du Fest der Freude,
Wo neues Leben
Durch Not und Tod
Alten und Jungen
Mit Feuerzungen
Weltoffenbar wird.

Pfingsten, dich suchen wir,
Du Fest des Sieges,
Wo Wahrheitsschwingen
Ob Lug und Trug
Die Luft erfüllen,
Falschheit enthüllen,
Völkerdurchbrausend.

Pfingsten, ich suche dich,
Du Fest der Geistkraft,
Wo sturmgeläutert
Von Neid und Streit
Sich Menschenmächte
Fürs Edel-Rechte
Strömend vermählen.

Pfingsten, dich suchen wir,
Fest der Gemeinschaft,
Wo gleich durch Wunden
Zu Rat und Tat
Sich frei verbunden
Höchste Geringsten:
Komm, o Pfingsten!

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Mein Neujahrswunsch

Was ich erwünsche vom neuen Jahre?
Dass ich die Wurzel der Kraft mir wahre,
Festzustehen im Grund der Erden,
Nicht zu lockern und morsch zu werden,
Mit den frisch ergrünenden Blättern
Wieder zu trotzen Wind und Wettern,
Mag es ächzen und mag es krachen,
Stark zu rauschen, ruhig zu lachen,
So in Regen wie Sonnenschein
Freunden ein Baum des Lebens zu sein.

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Melancholie

Dicker Nebeldunst drückt den See, die Stadt,
Wie der blasse Mond lugt die Sonne matt.
Nur am Ufer dampft sich die Welle frei,
Und der Schwaden rollt trüb und schwer vorbei.

Kahle Äste schaun schwarz und hilflos her,
Und sie feiern doch grüne Wiederkehr.
Wenn der Winter weicht, rieselt's lustig los,
Wenn der Frühling kommt, ist die Wonne groß.

Meines Lebens Saft nur ist ganz verzehrt,
Und kein Lenz ist mehr meiner Kraft beschert.
Wie des Dampfers Rauch in den Nebel kriecht,
Meiner Seele Hauch in das Nichts versiecht.

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Weihnacht

Ein Dreiklang

1.

Weihnacht, wunderbares Land,
Wo die grünen Tannen,
Sternenflimmernd rings entbrannt,
Jeden Pilger bannen!

Glücklich kindlicher Gesang
Schwebt um heilige Hügel,
Schwebt der Heimat Welt entlang,
Sehnsucht seine Flügel.

Friedestarken Geistes Macht
Sehnt sich, zu verbünden,
Über aller Niedertracht
Muss ein Licht sich zünden.

Lebens immergrüner Baum
Trägt der Liebe Krone -
Und ein milder Sternentraum
Küsst die starrste Zone.


2.

Es klingt ein Lied aus alter Zeit
Wie Sternentraum so rein,
Von eines Kindleins Herrlichkeit
Und schlichter Hütte hellem Schein.

In eine Nacht von Wahn gebar,
Als sich die Zeit erfüllt,
Das Weib den Menschensohn, der klar
Den Widersinn der Welt enthüllt.

Sein Auge war so himmelstief,
Durchstrahlte Trug und List:
Der Lichtheld wuchs, sein Schicksal rief,
Am Kreuze hing der erste Christ.

Noch immer hängt der Mensch am Kreuz,
Noch immer jammern Fraun,
Dem Glockenklang des Weihgeläuts
Mischt sich des Wahnsinns Weh und Graun.

Der Geist, der stark mit Feuer tauft,
Wird immer noch geschmäht,
Noch wird verraten und verkauft,
Wer Saat der kühnen Liebe sät.

Noch sind so viele Augen blind,
Herrscht ungerecht Gericht -
Doch wieder ward die Wahrheit Kind,
Und langsam, langsam wächst ihr Licht.


3.

Der Wanderer geht durch die weite Nacht,
Sein Sinn ist offen, sein Auge wacht.
Er lauscht in das schwangere Schweigen -
Die Sterne ziehen den Reigen.

Sie ziehen den Reigen vieltausend Jahr,
Die Welt ist dunkel, ihr Licht bleibt klar,
Sie sehen aus silbernen Höhen
Der Erde zuckende Wehen.

Der Wanderer horcht dem sausenden Sang
Frostblinkender Drähte meilenlang,
Sie singen von Sehnsucht und Hassen
Ringender Menschenmassen.

Sie singen von rastloser Forscher Mühn,
Von Geisterflammen, die läuternd glühn,
Von Krieg, Hosianna und Grausen
Heimlich sie singen und sausen.

Der Wanderer schaut ob Unglück und Glück
Auf seinen einsamen Pfad zurück.
Dann weilt auch der Hüter der Erde
Am nächsten feiernden Herde.

Er hebt ein Kindlein traut auf den Arm -
Wie wird der Atem der Welt ihm warm! -
Und rastet beim Lichterbaume,
Lächelnd wie tief im Traume ...

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Winter

Das ist der bleiche Winter:
Eiszapfen in der Hand,
Am Wolkenwebstuhl spinnt er
Elend und Liebestand.

Sein Atem überschauert
Mit Schneekristall das Land,
In Frost und Nöten kauert
Armut am Herdesrand.

Auf spiegelblankem Eise
Sportlust ist heiß entbrannt,
Venus im Pelz zieht Kreise
Um ihren Leutenant.

Das ist der bleiche Winter:
Eiszapfen in der Hand,
Am Wolkenwebstuhl spinnt er
Elend und Liebestand.

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