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Natur und Folge der Jahreszeiten war wohl immer das Feld, in dem Lyriker am fruchtbarsten geerntet haben, nirgends sind sich konkrete Anschauung und Symbolik so nahe. Diese Auswahl möge das für unsere Zeit der urban-virtuellen Nebenwelten bekräftigen, die sich von den Lebewesen und Rhythmen der Natur immer mehr entfernen.
460 Gedichte von 145 Dichtern
Matthias Jentzsch (geb. 1962)
Märzschnee
Flocken stieben um die Häuser,
windgetrieben Zug um Zug,
fall‘n als weiße Laken nieder.
Winter hat noch nicht genug.
Leute kratzen Frost von Scheiben,
rubbeln sich die Fäuste warm,
blicken fragend zum Kalender:
„Wann fängt nur der Frühling an?“
„Längst der März ist eingezogen“,
denkt sich jeder, der dort friert.
Doch Natur trägt weiße Mäntel,
Eis ist alles, was man spürt.
Seht nur hin mit etwas Mühe:
Zwischen allem Flockenfall
und mit spitzgereckten Ohren
sitzt der Lenz doch überall!
Denn der Frühling ist unmerklich,
auch wenn man ihn noch nicht sieht,
als verborg‘ner Gast zugegen,
wartet, dass der Winter flieht.
Setzt derweil auf kahle Äste
schwarze Amseln in der Früh.
Singen dann schon trotz der Kälte
seine warme Melodie.
In den Zweigen klopfen Knospen,
fordernd klingen sie im Ton.
Vater Frost und Mutter Kälte
haben aufgegeben schon.
Bringen sie nicht mehr zum Schlafen.
Jugend übersteigt den Sinn.
All das Frühlingsrebellieren
drängt mit Macht zum Neuen hin.