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Franz Werfel (1890-1945)
Elternlied
Kinder laufen fort.
Lang her kanns noch gar nicht sein,
Kamen sie zur Tür herein,
Saßen zwistiglich vereint
Alle um den Tisch.
Kinder laufen fort.
Und es ist schon lange her.
Schlechtes Zeugnis kommt nicht mehr.
Stunden Ärgers, Stunden schwer:
Scharlach, Diphtherie!
Kinder laufen fort.
Söhne hangen Weibern an.
Töchter haben ihren Mann.
Briefe kommen, dann und wann,
Nur auf einen Sprung.
Kinder laufen fort.
Etwas nehmen sie doch mit.
Wir sind ärmer, sie sind quitt,
Und die Uhr geht Schritt für Schritt
Um den leeren Tisch.
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Ferdinand Freiligrath (1810-1876)
O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Und sorge, dass dein Herze glüht
Und Liebe hegt und Liebe trägt,
Solang ihm noch ein ander Herz
In Liebe warm entgegenschlägt!
Und wer dir seine Brust erschließt,
O tu ihm, was du kannst, zulieb’!
Und mach’ ihm jede Stunde froh,
Und mach’ ihm keine Stunde trüb!
Und hüte deine Zunge wohl,
Bald ist ein böses Wort gesagt!
O Gott, es war nicht bös gemeint, -
Der andre aber geht und klagt.
O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
Dann kniest du nieder an der Gruft
Und birgst die Augen, trüb und nass,
- Sie sehn den andern nimmermehr -
Ins lange, feuchte Kirchhofsgras.
Und sprichst: O schau’ auf mich herab,
Der hier an deinem Grabe weint!
Vergib, dass ich gekränkt dich hab'!
O Gott, es war nicht bös gemeint!
Er aber sieht und hört dich nicht,
Kommt nicht, dass du ihn froh umfängst;
Der Mund, der oft dich küsste, spricht
Nie wieder: Ich vergab dir längst!
Er tat’s, vergab dir lange schon,
Doch manche heiße Träne fiel
Um dich und um dein herbes Wort -
Doch still - er ruht, er ist am Ziel!
O lieb’, solang du lieben kannst!
O lieb’, solang du lieben magst!
Die Stunde kommt, die Stunde kommt,
Wo du an Gräbern stehst und klagst!
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Friedrich Hebbel (1813-1863)
Das alte Haus
Der Maurer schreitet frisch heraus,
Er soll dich niederbrechen;
Da ist es mir, du altes Haus,
Als hörte ich dich sprechen:
»Wie magst du mich, das lange Jahr'
Der Lieb’ und Eintracht Tempel war,
Wie magst du mich zerstören?
Dein Ahnherr hat mich einst erbaut
Und unter frommem Beten
Mit seiner schönen, stillen Braut
Mich dann zuerst betreten.
Ich weiß um Alles wohl Bescheid,
Um jede Luft, um jedes Leid,
Was ihnen widerfahren.
Dein Vater ward geboren hier,
In der gebräunten Stube,
Die ersten Blicke gab er mir,
Der munt’re, kräft’ge Bube.
Er schaute auf die Engelein,
Die gaukeln in der Fenster Schein,
Dann erst auf seine Mutter.
Und als er traurig schlich am Stab
Nach manchen schönen Jahren,
Da hat er schon, wie still ein Grab,
In meinem Schoß erfahren;
In jener Ecke saß er da,
Und stumm und händefaltend sah
Er sehnlich auf zum Himmel.
Du selbst – doch nein, das sag’ ich nicht,
Ich will von dir nicht sprechen,
Hat dieses Alles kein Gewicht,
So lass nur immer brechen.
Das Glück zog mit dem Ahnherrn ein,
Zerstöre du den Tempel sein,
Damit es endlich weiche.
Noch lange Jahre kann ich steh’n,
Bin fest genug gegründet,
Und ob sich mit der Stürme Weh’n
Ein Wolkenbruch verbündet;
Kühn rag’ ich, wie ein Fels, empor,
Und was ich auch an Schmuck verlor,
Gewann ich’s nicht an Würde?
Und hab’ ich denn nicht manchen Saal
Und manch geräumig Zimmer?
Und glänzt nicht festlich mein Portal
In alter Pracht noch immer?
Noch Jedem hat’s in mir behagt,
Kein Glücklicher hat sich beklagt,
Ich sei zu klein gewesen.
Und, wenn es einst zum Letzten geht,
Und wenn das warme Leben
In deinen Adern stille steht,
Wird dies dich nicht erheben,
Dort, wo dein Vater sterbend lag,
Wo deiner Mutter Auge brach,
Den letzten Kampf zu streiten?«
Nun schweigt es still, das alte Haus,
Mir aber ist’s, als schritten
Die toten Väter all’ heraus,
Um für ihr Haus zu bitten,
Und auch in meiner eig’nen Brust,
Wie ruft so manche Kinder-Lust:
Lass steh’n das Haus, lass stehen!
Indessen ist der Mauermann
Schon ins Gebälk gestiegen,
Er fängt mit Macht zu brechen an,
Und Stein’ und Ziegel fliegen.
Still, lieber Meister, geh von hier,
Gern zahle ich den Taglohn dir,
Allein das Haus bleibt stehen.
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Muhammad Schams ad-Din Hafis (um 1320-1390)
Reiseziel
Nun ist das Leben an seinem Ziel
Und ohne Zweck war die Reise.
O Jüngling, rühre das Saitenspiel,
Schon morgen wirst du zum Greise.
Das lecke Schiff und der morsche Kiel
In Meeren ohne Geleise,
Der Winde Ball und der Wellen Spiel
Unnütz gewirbelt im Kreise.
So viel gehofft und gewünscht so viel,
Getäuscht in jeglicher Weise,
Hindurch durchs ewige Widerspiel
Gequält von Glut und von Eise.
Nun sinkt die Rose auf mattem Stiel,
Die Blätter fallen vom Reise.
Nun ist das Leben an seinem Ziel
Und ohne Zweck war die Reise.
(aus dem Persischen von Friedrich Rückert)
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Friedrich Rückert (1788-1866)
Wem ein Geliebtes stirbt...
Wem ein Geliebtes stirbt, dem ist es wie ein Traum,
Die ersten Tage kommt er zu sich selber kaum.
Wie er's ertragen soll, kann er sich selbst nicht fragen;
Und wenn er sich besinnt, so hat er's schon ertragen.
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George Gordon Lord Byron (1788-1824)
Abschied von England vor seiner Reise nach Lissabon
Leb wohl! leb wohl! im blauen Meer
Verbleicht die Heimat dort.
Der Nachtwind seufzt, wir rudern schwer,
Scheu fliegt die Möwe fort.
Wir segeln jener Sonne zu,
Die untertaucht mit Pracht.
Leb wohl, du schöne Sonn, und du,
Mein Vaterland - gut Nacht!
Mit dir, mein Schiff, durchsegl ich frei
Das wilde Meergebraus.
Frag nicht, nach welchem Land es sei,
Nur trag mich nicht nach Haus!
Seid mir willkommen, Meer und Luft!
Und ist die Fahrt vollbracht,
Seid mir willkommen, Wald und Kluft!
Mein Vaterland - gut Nacht!
(aus dem Englischen von Heinrich Heine)
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Friedrich von Logau (1605-1655)
Der Tod
Ich fürchte nicht den Tod, der mich zu nehmen kümmt;
Ich fürchte mehr den Tod, der mir die Meinen nimmt.
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Friedrich von Bodenstedt (1819-1892)
Stammbuchblatt
Und tut's dir weh dass ich von dir geh',
Warum willst du noch dass es dein Auge seh,
Und les' es schwarz auf weiß verbrieft,
Wie mir das Herz vor Wehmut trieft?
Ernst mahnend wie die Freude flieht,
Ein Schatten des Gedankens zieht
Das geschriebene Wort dem Blick einher
Und macht das Herz uns trüb und schwer.
Da steht nun das Wort so traut und lieb;
Doch wo ist die Hand die es niederschrieb?
Und wo ist die Brust der es schwer entklang,
Und wo ist der Mund der es wiedersang.
Drum tut's dir weh, wenn ich von dir geh',
Warum, willst du noch, dass es dein Auge seh?
Der Eine ist für den Anderen fort,
Und nichts bleibt als das kalte Wort.
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Cäsar Flaischlen (1864-1920)
Ende
Verträumt und müde wie ein Schmetterling im September taumelt der Sommer das Gelände entlang. Altweiberfäden wirren sich um seine zerrissenen Flügel und die Blumen, die noch blühen, haben keinen Honig mehr.
Am Hochwald drüben, hinter dem die Sonne glutet, lauert die Nacht, gleich einer großen Spinne, und wie ein engmaschiges Netz hängt sie die Dämmerung vor das verflackernde Abendrot, nach dem der Schmetterling seinen Flug nimmt.
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Rainer Maria Rilke (1875-1826)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/rilke.php
Abschied
Wie hab ich das gefühlt was Abschied heißt.
Wie weiß ichs noch: ein dunkles unverwundnes
grausames Etwas, das ein Schönverbundnes
noch einmal zeigt und hinhält und zerreißt.
Wie war ich ohne Wehr, dem zuzuschauen,
das, da es mich, mich rufend, gehen ließ,
zurückblieb, so als wärens alle Frauen
und dennoch klein und weiß und nichts als dies:
Ein Winken, schon nicht mehr auf mich bezogen,
ein leise Weiterwinkendes -, schon kaum
erklärbar mehr: vielleicht ein Pflaumenbaum,
von dem ein Kuckuck hastig abgeflogen.
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Gustav Falke (1853-1916)
Geh nicht!
Leb wohl! Wie ruhte Hand in Hand
So kalt. Ich litt.
O, dass ich nicht ein Wort des Herzens fand!
Du gehst und nimmst den Frühling mit,
Nimmst Tag und Licht. -
Geh nicht!
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Ludwig Uhland (1787-1862)
Auf den Tod eines Kindes
Du kamst, Du gingst mit leiser Spur,
Ein flücht'ger Gast im Erdenland;
Woher? Wohin? Wir wissen nur:
Aus Gottes Hand in Gottes Hand.
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Friedrich Rückert (1788-1866)
Über alle Gräber wächst...
Über alle Gräber wächst zuletzt das Gras,
Alle Wunden heilt die Zeit, ein Trost ist das,
Wohl der schlechteste, den man dir kann erteilen;
Armes Herz, du willst nicht, dass die Wunden heilen.
Etwas hast du noch, solang es schmerzlich brennt;
Das Verschmerzte nur ist tot und abgetrennt.
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Stefan George (1868-1933)
Fenster wo ich einst mit dir...
Fenster wo ich einst mit dir
Abends in die landschaft sah
Sind nun hell mit fremdem licht.
Pfad noch läuft vom tor wo du
Standest ohne umzuschaun
Dann ins tal hinunterbogst.
Bei der kehr warf nochmals auf
Mond dein bleiches angesicht..
Doch es war zu spät zum ruf.
Dunkel – schweigen – starre luft
Sinkt wie damals um das haus.
Alle freude nahmst du mit.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Theodor Storm (1817-1888)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_storm.php
Einer Toten
1
Du glaubtest nicht an frohe Tage mehr,
Verjährtes Leid ließ nimmer dich genesen;
Die Mutterfreude war für dich zu schwer,
Das Leben war dir gar zu hart gewesen. –
Er saß bei dir in letzter Liebespflicht;
Noch eine Nacht, noch eine war gegeben!
Auch die verrann; dann kam das Morgenlicht.
»Mein guter Mann, wie gerne wollt ich leben!«
Er hörte still die sanften Worte an,
Wie sie sein Ohr in bangen Pausen trafen:
»Sorg für das Kind - ich sterbe, süßer Mann.«
Dann halb verständlich noch: »Nun will ich schlafen.«
Und dann nichts mehr; - du wurdest nimmer wach,
Dein Auge brach, die Welt ward immer trüber;
Der Atem Gottes wehte durchs Gemach,
Dein Kind schrie auf, und dann warst du hinüber.
2
Das aber kann ich nicht ertragen,
Dass so wie sonst die Sonne lacht;
Dass wie in deinen Lebenstagen
Die Uhren gehn, die Glocken schlagen,
Einförmig wechseln Tag und Nacht;
Dass, wenn des Tages Lichter schwanden,
Wie sonst der Abend uns vereint;
Und dass, wo sonst dein Stuhl gestanden,
Schon andre ihre Plätze fanden,
Und nichts dich zu vermissen scheint;
Indessen von den Gitterstäben
Die Mondesstreifen schmal und karg
In deine Gruft hinunterweben
Und mit gespenstig trübem Leben
Hinwandeln über deinen Sarg.
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