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Theodor Fontane (1819-1898)
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Die Alten und die Jungen
„Unverständlich sind uns die Jungen“
Wird von den Alten beständig gesungen;
Meinerseits möcht ich's damit halten:
“Unverständlich sind mir die Alten.“
Dieses Am-Ruder-bleiben-Wollen
In allen Stücken und allen Rollen,
Dieses Sich-unentbehrlich-Vermeinen
Samt ihrer „Augen stillem Weinen“,
Als wäre der Welt ein Weh getan -
Ach, ich kann es nicht verstahn.
Ob unsre Jungen, in ihrem Erdreisten,
Wirklich was Besseres schaffen und leisten,
Ob dem Parnasse sie näher gekommen
Oder bloß einen Maulwurfshügel erklommen,
Ob sie mit andern Neusittenverfechtern
Die Menschheit bessern oder verschlechtern,
Ob sie Frieden sä'n oder Sturm entfachen,
Ob sie Himmel oder Hölle machen -
Eins lässt sie stehn auf siegreichem Grunde,
Sie haben den Tag, sie haben die Stunde,
Der Mohr kann gehn, neu Spiel hebt an,
Sie beherrschen die Szene, sie sind dran.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Theodor Fontane (1819-1898)
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O trübe diese Tage nicht
O trübe diese Tage nicht,
Sie sind der letzte Sonnenschein,
Wie lange, und es lischt das Licht,
Und unser Winter bricht herein.
Dies ist die Zeit, wo jeder Tag
Viel Tage gilt in seinem Wert,
Weil man's nicht mehr erhoffen mag,
Dass so die Stunde wiederkehrt.
Die Flut des Lebens ist dahin,
Es ebbt in seinem Stolz und Reiz,
Und sieh, es schleicht in unsern Sinn
Ein banger, nie gekannter Geiz;
Ein süßer Geiz, der Stunden zählt
Und jede prüft auf ihren Glanz,
O sorge, dass uns keine fehlt,
Und gönn uns jede Stunde ganz.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Emanuel Geibel (1815-1884)
Herbstgefühl
O wär’ es bloß der Wange Pracht,
Die mit den Jahren flieht!
Doch das ist’s, was mich traurig macht,
Dass auch das Herz verblüht;
Dass, wie der Jugend Ruf verhallt
Und wie der Blick sich trübt,
Die Brust, die einst so heiß gewallt,
Vergisst, wie sie geliebt.
Ob von der Lippe dann auch kühn
Sich Witz und Scherz ergießt,
’s ist nur ein heuchlerisches Grün,
Das über Gräbern sprießt.
Die Nacht kommt, mit der Nacht der Schmerz
Der eitle Flimmer bricht;
Nach Tränen sehnt sich unser Herz
Und findet Tränen nicht.
Wir sind so arm, wir sind so müd’,
Warum, wir wissen’s kaum;
Wir fühlen nur, das Herz verblüht,
Und alles Glück ist Traum.
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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Das Alter
Das Alter ist ein höflich' Mann:
Einmal übers andre klopft er an;
Aber nun sagt niemand: Herein!
Und vor der Türe will er nicht sein.
Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,
Und nun heißt's, er sei ein grober Gesell.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Die Jahre
Die Jahre sind allerliebste Leut:
Sie brachten gestern, sie bringen heut,
Und so verbringen wir Jüngern eben
Das allerliebste Schlaraffenleben.
Und dann fällt’s den Jahren auf einmal ein,
Nicht mehr wie sonst bequem zu sein,
Wollen nicht mehr schenken, wollen nicht mehr borgen
Sie nehmen heute, sie nehmen morgen.
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Franz Grillparzer (1791-1872)
An eine matte Herbstfliege
Wanken dir die matten Füße,
ist der Flügel Schwung erlahmt?
Traurig schleichst du an dem Fenster,
das einst deine Spiele sah:
Ach, der Sommer ist verronnen,
und der raue Winter naht.
Doch sieh meine welken Kniee,
sieh das Antlitz totenbleich,
sieh der Augen mutges Feuer,
von der Krankheit Hauch gelöscht;
ist denn schon mein Herbst gekommen,
eh mein Sommer noch erschien?
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Andreas Gryphius (1616-1664)
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Tränen in schwerer Krankheit
Mir ist ich weiß nicht wie, ich seufze für und für.
Ich weine Tag und Nacht, ich sitz in tausend Schmerzen;
Und tausend fürcht ich noch, die Kraft in meinem Herzen
Verschwindt, der Geist verschmacht, die Hände sinken mir.
Die Wangen werden bleich, der schönen Augen Zier
Vergeht, gleich als der Schein der schon verbrannten Kerzen.
Die Seele wird bestürmt gleich wie die See im Märzen.
Was ist dies Leben doch, was sind wir, ich und ihr?
Was bilden wir uns ein! was wündschen wir zu haben?
Itzt sind wir hoch und groß, und morgen schon vergraben:
Itz Blumen, morgen Kot, wir sind ein Wind, ein Schaum,
Ein Nebel, eine Bach, ein Reiff, ein Tau' ein Schaten.
Itz was und morgen nichts, und was sind unser Taten?
Als ein mit herber Angst durchaus vermischter Traum.
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Friedrich von Hagedorn (1708-1754)
Der Alte
Ich werde viel älter und Schwermut und Plage
Droht meiner schon sinkenden Hälfte der Tage:
Kaum wallet noch weiter mein zögerndes Herz
Bei winkenden Freuden, bei lockendem Scherz.
Die schmeichelnde Falschheit der lachenden Erben
Verheißt mir das Leben und wünschet mein Sterben:
Ein fingernder Doktor besalbt mir den Leib:
Bald lärmet der Pfarrer, bald predigt mein Weib.
Die warnenden Kenner der Wetter und Winde,
Die stündlichen Forscher: Wie ich mich befinde?
Die tränenden Augen, die keichende Brust
Entkräften den Liebreiz, verscheuchen die Lust.
Nun soll mich doch einmal mein Leibarzt nicht stören.
Verjüngende Freunde, hier trink ich mit Ehren!
Weib, Pfarrer und Erben, nur nicht zu genau!
Hier frag' ich nicht Pfarrer, nicht Erben, noch Frau.
Im Beisein der Alten verstellt sich die Jugend:
Sie trinkt nur bei Tropfen, sie durstet vor Tugend;
Ich ehrlicher Alter verstelle mich auch,
Bezeche den Jüngling und leere den Schlauch.
Mein Auge wird heller: wer höret mich keichen?
Ich suche der mutigen Jugend zu gleichen;
Und will, auch im Alter, bei Freunden und Wein,
Kein Tadler der Freuden, kein Sonderling sein.
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Heinrich Heine (1797-1856)
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Alte Rose
Eine Rosenknospe war
Sie, für die mein Herze glühte;
Doch sie wuchs, und wunderbar
Schoss sie auf in voller Blüte.
Ward die schönste Ros' im Land,
Und ich wollt die Rose brechen,
Doch sie wusste mich pikant
Mit den Dornen fortzustechen.
Jetzt, wo sie verwelkt, zerfetzt
Und verklatscht von Wind und Regen –
»Liebster Heinrich« bin ich jetzt,
Liebend kommt sie mir entgegen.
Heinrich hinten, Heinrich vorn,
Klingt es jetzt mit süßen Tönen;
Sticht mich jetzt etwa ein Dorn,
Ist es an dem Kinn der Schönen.
Allzu hart die Borsten sind,
Die des Kinnes Wärzchen zieren –
Geh ins Kloster, liebes Kind,
Oder lasse dich rasieren.
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Karl Henckell (1864-1929)
Melancholie
Dicker Nebeldunst drückt den See, die Stadt,
Wie der blasse Mond lugt die Sonne matt.
Nur am Ufer dampft sich die Welle frei,
Und der Schwaden rollt trüb und schwer vorbei.
Kahle Äste schaun schwarz und hilflos her,
Und sie feiern doch grüne Wiederkehr.
Wenn der Winter weicht, rieselt's lustig los,
Wenn der Frühling kommt, ist die Wonne groß.
Meines Lebens Saft nur ist ganz verzehrt,
Und kein Lenz ist mehr meiner Kraft beschert.
Wie des Dampfers Rauch in den Nebel kriecht,
Meiner Seele Hauch in das Nichts versiecht.
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Paul Heyse (1839-1914)
Abschied
Hab' ich ihn nun ausgeträumt,
Meinen Wintertraum im Süden,
Wo die Flut am Strand verschäumt,
Als ein Schlummerlied dem Müden?
Nordwärts zieht das rasche Schiff
An der schönen Bucht vorüber;
Einen Abschiedsgruß hinüber
Schickt des Dampfers hoher Pfiff.
Lange noch zurück vom Bord
Wandern Augen und Gedanken
Zu dem hellen Häuschen dort,
Das die Rosen hoch umranken,
Wo im linden Sonnenschein
Unter Palmen und Zypressen
Holdbetrogen ich vergessen,
Dass es Winter sollte sein.
Doch getrost! Nun wirst du bald
Holden Heimatklängen lauschen.
Wieder wird der deutsche Wald
Kühl die Stirne dir umrauschen,
Wenn an des Benacus Strand
Alle Kreatur verschmachtet
Und die Luft, auch wenn es nachtet,
Nie sich kühlt vom Tagesbrand.
Danke, dass erreicht du hast,
Was dem Menschen blüht so selten,
Dass er als vertrauter Gast
Bürger sei in zweien Welten
Und zu träumen sich erkühnt,
Trotz des Alters frost'gem Schauer,
Dass in märchenhafter Dauer
Ew'ger Frühling ihn umgrünt.
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Friedrich Hölderlin (1770-1843)
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Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne;
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
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Justinus Kerner (1786-1862)
Augentrost
O lass es gern geschehen,
Dass dir dein Auge blind!
Was willst du denn noch sehen,
Altes, betrognes Kind?
Willst du den Lenz erzwingen
Durch buntgefärbtes Glas?
Soll dir noch Blumen bringen
Das längst verwelkte Gras?
Die lichten Regenbogen,
Die Schlösser in der Luft,
Alter! sind fortgezogen,
Du siehst nur eis'gen Duft.
Lenz, Sommer sind geschieden,
Nur Winter siehest du.
Alter! o schließ in Frieden
Die müden Augen zu.
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Justinus Kerner (1786-1862)
Alter und Winter
Alter und Winter, Herbheit der Natur!
O dass man auch im Kampf der Elemente
Noch duftend wie die Blume sterben könnte!
Doch ach! man stirbt nicht, man vertrocknet nur.
Und so vertrocknet lebt man sich zum Spott,
Hört jahrelang an seiner Bahre zimmern,
Bis endlich fällt saftlos der Leib in Trümmern,
Und wo die Seele hinfährt, weiß nur Gott.
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Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)
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Auf das Alter
Dem Alter nicht, der Jugend sei's geklagt,
Wenn uns das Alter nicht behagt.
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