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Arnim/Brentano (Hrsg.)
Es ist der Menschen weh und ach
Wie bin ich krank,
Gebt mir nur einen Trank,
Nur keine Pulver,
Und keine Pillen,
Die können meinen Schmerz nicht stillen:
Wie bin ich krank!
Wie bin ich matt!
Kaum ess ich mich nur satt;
Des Fiebers Wüten
Durchwühlt den Körper,
Schwächt alle Glieder:
Wie bin ich matt!
Ich sterbe ja,
Drum gute Nacht;
Mein Testament ist gemacht,
Sag meiner Phillis,
Sag mein Verlangen,
Dort seh ich sie, sie kommt gegangen,
Küss mir den Mund:
Ich bin gesund.
(aus: Des Knaben Wunderhorn, erschienen 1806-1808)
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Wilhelm Busch (1832-1908)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/wilhelm_busch.php
Also hat es dir gefallen...
Also hat es dir gefallen
Hier in dieser schönen Welt;
So dass das Vondannenwallen
Dir nicht sonderlich gefällt.
Lass dich das doch nicht verdrießen.
Wenn du wirklich willst und meinst,
Wirst du wieder aufersprießen;
Nur nicht ganz genau wie einst.
Aber, Alter, das bedenke,
Dass es hier doch manches gibt,
Zum Exempel Gicht und Ränke,
Was im ganzen unbeliebt.
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Matthias Claudius (1740-1815)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/matthias_claudius.php
Nach der Krankheit 1777
Ich lag und schlief; da fiel ein böses Fieber
Im Schlaf auf mich daher,
Und stach mir in der Brust und nach dem Rücken über,
Und wütete fast sehr.
Es sprachen Trost, die um mein Bette saßen;
Lieb Weibel grämte sich,
Ging auf und ab, wollt sich nicht trösten lassen,
Und weinte bitterlich.
Da kam Freund Hain: "Lieb Weib, musst nicht so grämen,
Ich bring ihn sanft zur Ruh":
Und trat ans Bett, mich in den Arm zu nehmen,
Und lächelte dazu.
Sei mir willkommen, sei gesegnet, Lieber!
Weil du so lächelst; doch
Doch, guter Hain, hör an, darfst du vorüber,
So geh und lass mich noch!
"Bist bange, Asmus? - Darf vorübergehen
Auf dein Gebet und Wort.
Leb also wohl, und bis auf Wiedersehen!"
Und damit ging er fort.
Und ich genas! Wie sollt ich Gott nicht loben!
Die Erde ist doch schön,
Ist herrlich doch wie seine Himmel oben,
Und lustig drauf zu gehn!
Will mich denn freun noch, wenn auch Lebensmühe
Mein wartet, will mich freun!
Und wenn du wiederkömmst, spät oder frühe,
So lächle wieder, Hain!
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Max Dauthendey (1867-1918)
Ich dulde stumm
Die Welt um mich ist ein Krankenzimmer
Mit geschlossenen Läden im Zwielichtschimmer.
Ich möchte nur leise Schritte machen,
Meine Augen schmerzen vor nächtlichem Wachen.
Meine Brust ist von Sorgen eng umbunden,
Inwendig bluten mir stechende Wunden.
Ich kann noch kein Ende der Krankheit sehen.
Werd ich je froh auf den Füßen stehen?
Das Fieber des Krieges, Heimweh und Sehnen, -
Ich dulde stumm mit verbissenen Zähnen.
(Garoet 1915)
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Joseph von Eichendorff (1788-1857)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/eichendorff.php
Der Kranke
Soll ich dich denn nun verlassen,
Erde, heitres Vaterhaus?
Herzlich Lieben, mutig Hassen,
Ist denn alles, alles aus?
Vor dem Fenster durch die Linden
Spielt es wie ein linder Gruß,
Lüfte, wollt ihr mir verkünden,
Dass ich bald hinunter muss? -
Liebe, ferne, blaue Hügel,
Stiller Fluss im Talesgrün,
Ach, wie oft wünscht ich mir Flügel,
Über euch hinwegzuziehn!
Da sich jetzt die Flügel dehnen
Schaur ich in mich selbst zurück,
Und ein unbeschreiblich Sehnen
Zieht mich zu der Welt zurück.
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Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769)
In Krankheit
Ich hab in guten Stunden
Des Lebens Glück empfunden;
Und Freuden ohne Zahl:
So will ich denn gelassen
Mich auch in Leiden fassen;
Welch Leben hat nicht seine Qual?
(Auschnitt)
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Andreas Gryphius (1616-1664)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/andreas_gryphius.php
Menschliches Elende
Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmerzen
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.
Dies Leben fleucht darvon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Toten-Buch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.
Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt,
Und wie ein Strom verscheust, den keine Macht aufhält:
So muss auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden,
Was itzund Atem holt, muss mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird auch ins Grab nachziehn.
Was sag ich? wir vergehn wie Rauch von starken Winden.
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Andreas Gryphius (1616-1664)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/andreas_gryphius.php
Trauerklage des Autoris in sehr schwerer Krankheit
Ich bin nicht, der ich war, die Kräfte sind verschwunden!
Die Glieder sind verdorrt wie ein verbrannter Graus,
Hier schaut der schwarze Tod zu beiden Augen aus,
Nichts wird als Haut und Bein mehr an mir übrig funden.
Der Atem will nicht fort; die Zung steht angebunden.
Mein Herz das übersteht numehr den letzten Strauß,
Ein jeder, der mich sieht spürt dass das schwache Haus
Der Leib wird brechen ein, gar inner wenig Stunden,
Gleich wie die Wiesenblum früh mit dem Licht der Welt
Hervor kommt, und noch eh der Mittag weggeht, fällt;
So bin ich auch benetzt mit Tränentau ankommen:
So sterb ich vor der Zeit: O Erden gute Nacht!
Mein Stündlein lauft herbei! nun hab ich ausgewacht,
Und werde von dem Schlaf des Todes eingenommen!
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Andreas Gryphius (1616-1664)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/andreas_gryphius.php
An sich selbst
Mir grauet vor mir selbst, mit zittern alle Glieder,
Wenn ich die Lipp' und Nas' und beider Augen Kluft,
Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft
Betracht', und die nun schon erstorbnen Augenlider.
Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder,
Und lallt ich weiß nicht was; die müde Seele ruft
Dem großen Tröster zu, das Fleisch reucht nach der Gruft,
Die Ärzte lassen mich, die Schmerzen kommen wieder,
Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Fell und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen eine Pein.
Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten!
Was ist der hohe Ruhm und Jugend, Ehr' und Kunst?
Wenn diese Stunde kommt: wird alles Rauch und Dunst.
Und eine Not muss uns mit allem Vorsatz töten.
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Andreas Gryphius (1616-1664)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/andreas_gryphius.php
Tränen in schwerer Krankheit
Mir ist ich weiß nicht wie, ich seufze für und für.
Ich weine Tag und Nacht, ich sitz in tausend Schmerzen;
Und tausend fürcht ich noch, die Kraft in meinem Herzen
Verschwindt, der Geist verschmacht, die Hände sinken mir.
Die Wangen werden bleich, der schönen Augen Zier
Vergeht, gleich als der Schein der schon verbrannten Kerzen.
Die Seele wird bestürmt gleich wie die See im Märzen.
Was ist dies Leben doch, was sind wir, ich und ihr?
Was bilden wir uns ein! was wündschen wir zu haben?
Itzt sind wir hoch und groß, und morgen schon vergraben:
Itz Blumen, morgen Kot, wir sind ein Wind, ein Schaum,
Ein Nebel, eine Bach, ein Reiff, ein Tau' ein Schaten.
Itz was und morgen nichts, und was sind unser Taten?
Als ein mit herber Angst durchaus vermischter Traum.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Heinrich Heine (1797-1856)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/heinrich_heine.php
Wie langsam kriechet...
Wie langsam kriechet sie dahin,
Die Zeit, die schauderhafte Schnecke!
Ich aber, ganz bewegungslos
Blieb ich hier auf demselben Flecke.
In meine dunkle Zelle dringt
Kein Sonnenstrahl, kein Hoffnungsschimmer,
Ich weiß, nur mit der Kirchhofsgruft
Vertausch ich dies fatale Zimmer.
Vielleicht bin ich gestorben längst;
Es sind vielleicht nur Spukgestalten
Die Phantasien, die des Nachts
Im Hirn den bunten Umzug halten.
Es mögen wohl Gespenster sein,
Altheidnisch göttlichen Gelichters;
Sie wählen gern zum Tummelplatz
Den Schädel eines toten Dichters. -
Die schaurig süßen Orgia,
Das nächtlich tolle Geistertreiben,
Sucht des Poeten Leichenhand
Manchmal am Morgen aufzuschreiben.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Sehnsucht ins Freie
Ach, wär' ich doch bald genesen
Und dürft' hinaus ins Feld!
Es ist der Frühling gekommen:
Nun freut sich alle Welt.
Hell aus den Lüften erschallet
Gesang und Jubelgetön.
Es grünt und blühet im Tale,
Es bläu'n sich die fernen Höh'n.
Ach, wär' ich doch bald genesen!
Wie ist mir angst und bang!
Mich hält die Krankheit gefangen
Schon manche Woche lang.
O könnt' ich, könnt' ich doch athmen
Die süße himmlische Luft!
Im Frei'n mich ergeh'n und mich laben
An Blumen- und Laubesduft!
Ach, wär' ich doch bald genesen!
Ach, tät' ein Engel mir kund,
Mir kund die fröhliche Botschaft:
Steh auf, du bist gesund!
Ich wollt' aus duftenden Blumen
Ihm winden ein Kränzelein,
Und eine Perle des Herzens,
Die Träne des Danks ihm weih'n.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Justinus Kerner (1786-1862)
Des Arztes Traum
Was mir ein Arzt erzählte
Von einem Traume bang,
Ich euch zum Lied erwählte,
Hört freundlich den Gesang!
Er sprach: »Ich denk' mit Schauern
Stets an den tollen Traum: –
In eines Kirchhofs Mauern
Saß ich an einem Baum.
Kein goldner Vollmond schiffte
Durchs stille Rebental,
Es zuckte durch die Lüfte
Entfernter Blitze Strahl.
Ich aber saß bekommen,
Als drohte noch was mehr,
Sprach: ›Wie bin ich gekommen
Um Mitternacht hieher?‹
Ich seufzte und ich grollte,
Da hör' ich dumpfen Schall,
Als ob die Erd' entrollte
Den Grabeshügeln all.
Der Mond aus Wolkenbergen
Auf einmal strahlend bricht,
Da seh' ich, wie aus Särgen
Steigt Leich' an Leiche dicht.
Die lenken ihre Schritte
Gerade auf mich zu,
Ich aber rief: ›Ich bitte,
Ihr Toten! kehrt zur Ruh'!‹
Schnell will ich mich erheben,
Gebannt blieb ich am Baum,
Die Leichen zu mir schweben. –
O nie vergessner Traum!
Die erste wie im Grimme
Hebt auf die schwarze Hand
Und spricht mit heller Stimme:
›Mein Tod war heißer Brand.
Du aber hast gestecket
Moschus in mich hinein,
Die Glut noch mehr gewecket,
Der Tod half mir allein.‹
Drauf mit den Knochenhänden
Die zweite weist aufs Herz
Und spricht: ›So musst' ich enden,
Hier innen saß mein Schmerz.
Du aber gabst mir Pillen
Und Tränke für die Brust,
Mein Leiden hat zu stillen
Allein der Tod gewusst.‹
Die dritte kommt geschritten
Und streckt mir hin ihr Bein:
›Hättst du dies abgeschnitten,
Würd' ich noch lebend sein.
Doch du auf meine Klagen
Sprachst: Jod und Lebertran
Heilt dich in wenig Tagen, –
Der Tod nur hat's getan.‹
Die vierte mit dem Kopfe
Stets nickte hin und her:
›Wie war mir armen Tropfe
Im Leben der so schwer!
Hättst Wasser mir gegeben
Statt China immerdar,
So wär' ich noch am Leben, –
Der Tod mein Helfer war.‹
Jetzt kommt die fünfte Leiche
An Krücken zu auf mich.
Ich kenne sie, rief: ›Weiche!
Die Erde decke dich!
Fort! fort! sie deck' euch alle,
Ihr Toten! fort vom Licht!‹
Da ruft's mit grellem Schalle:
›Arzt! mit dir ins Gericht!‹
Nun kommt der Tod gegangen!
Die Leichen singen: ›Tod!
Mit Kränzen sei umfangen,
Du Retter aus der Not!
Du Arzt, der aufgefunden
Den Balsam Grabesruh';
Du bandest unsre Wunden
Sanft mit dem Sargtuch zu.‹
Und jetzt an mir vorüber
Schwebt Tod und Leichenchor;
Schnell wird der Himmel trüber,
Das Mondlicht sich verlor.
Zum Baum, wo meine Stätte,
Ein Blitzstrahl niederkracht,
Davon bin ich im Bette
Vom tollen Traum erwacht.«
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Friedrich von Logau (1605-1655)
Das kranke Alter
Weil Alter eine Krankheit ist, so kann man dem vergeben,
Der uns den Tod hat angewünscht und nicht ein langes Leben.
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Friedrich von Logau (1605-1655)
Unheilsame Krankheit
Mancher Schad ist nicht zu heilen durch die Kräuter aller Welt;
Hanf hat viel verzweifelt Böses gut gemacht und abgestellt.
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Christian Adolph Overbeck (1755-1821)
Die Krankheit
Ich lag im Bette kümmerlich,
Inwendig gar nicht munter;
Und von der bleichen Wange schlich
Ein Tränenquell herunter.
Der Schlaf blieb aus, und immer aus,
Ich könnt' ihn nicht erflehen.
Und bald kam ein Geschwür heraus.
Nur widrig anzusehen.
Und brannt', und stach, und presste mir
Ein Ächzen aus der Seele.
Da seufzt' ich: O mein Gott, sieh hier!
Sieh hier, wie ich mich quäle!
Das hörte wohl der liebe Gott;
Er muss ja alles hören!
Doch ließ er täglich meine Not
Noch immer sich vermehren.
Da fraß der Durst den hohlen Gaum,
Die Zunge wollte starren.
Ich trank und trank, und konnte kaum
Des nächsten Trunkes harren.
Und immer brannte das Geschwür
Mit tausendfachem Stechen.
Ich schrie; es war, als wollte mir
Das Herz im Leibe brechen.
Ich schrie, und weinte bitterlich:
Erleichtre doch mich Armen!
Der Schmerz ist gar zu groß für mich!
Ach lieber Gott, Erbarmen!
Das hörte wohl der liebe Gott;
Er muss ja alles hören.
Doch ließ er stündlich meine Not
Noch immer sich vermehren.
Ein heißes Fieber wühlte mir
Hindurch in allen Adern.
Da ward ich wild, und wollte schier
Mit jedem Menschen hadern.
Es schlugen alle, die mich sahn,
Die Hände hoch zusammen,
Und füchteten sich mir zu nahn
Mein Auge stand in Flammen.
Ich wusste von mir selber nicht,
Mein Sinn war ganz betöret,
Und jeder Zug mir im Gesicht
Verschroben und verkehret.
Da sank mein Vater hin aufs Knie,
Und Lotte lag daneben -
Und beteten, als wollten sie
Am Kammerboden kleben.
Und plötzlich fuhr es in mich her,
Wie eine Kraft von oben.
Ich bebt' - und wütete nicht mehr,
Und fing an Gott zu loben.
Und freudig war das ganze Haus.
Doch ich ward stumm vor Freuden.
Nur eine Träne drang heraus;
Ganz anders, wie im Leiden.
Es tobte nun der Puls nicht mehr;
Das Fieber war verschwunden.
Auch ging hinweg die böse Schwär';
Ich schlummerte fünf Stunden.
Und als ich da erwacht' - o Glück!
O namenlose Wonne!
Durchs Fenster gab mir einen Blick
Die milde frühe Sonne!
Ich warf die Hände nach ihr hin,
Und lächelte hinüber.
Entzücken war mein ganzer Sinn;
Entsprungen wär' ich lieber.
Und Lotte kam, die Hände voll
Von Primeln und Narzissen.
Das war zu viel! - ich musste wohl
Sie und die Blumen küssen.
Und allgemählich floss die Kraft
Herein in meine Glieder.
Gelobt sei Gott! er hilft, und schafft
Gedeihn dem Kranken wieder!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Friedrich Rückert (1788-1866)
Mein Engelchen...
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiss entfliegen!
Gefällt dir's nicht bei uns? o sprich!
So ungeduldig seh' ich dich
Auf deinen Schwingen wiegen.
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiss entschweben!
Du wirst ja schöner jeden Tag,
Es zittert meines Herzens Schlag,
Du wirst zu schön für's Leben.
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiss entwallen!
Wirst jede Stunde lieber mir,
Ich fühl's mit Furcht, ich hab' an dir
Zu großes Wohlgefallen.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Franz Werfel (1890-1945)
Ballade von der Krankheit
Nicht jeden packt mit jähem Ruck
Der Tod und lässt ihn achtlos sinken.
Den meisten gibt er Gift zu trinken
Durch Jahr und Tage, Schluck um Schluck.
Die Krankheit schlüpft in Nonnentracht
Ins Zimmer, das du zugemacht.
Sie schlurft auf Filz. Sie nickt dir zu.
Sie öffnet ihre Siebensache.
Sie eilt, ein Doppelbett zu machen.
Denn du bist sie und sie ist du.
So fest verknüpft, so eng verschnürt
Hat noch kein Paar die Eh' geführt.
Seit jenem Morgen, da sie kam,
Lässt keinen sie an deine Seiten.
Selbst Weib und Kind sehn wie vom Weiten
Entsetzt dich an in deinem Gram.
Und wenn du klagst, die Wunden zeigst,
Dann winkt sie rau dir ab; du schweigst...
Denn was dir fehlt, weiß sie allein.
Nur sie hört deine Ohrenbeichten:
Die tiefen Schmerzen und die seichten,
Die grabende, die flache Pein,
Davon hat sie Geheimbericht,
Nur sie und sonst kein Wesen nicht.
Und das ist wahr! Wenn du auch weißt,
Dass keine Ärzte mehr dich heilen,
Viel schlimmer ist: Nicht mitzuteilen
Vermagst du, was dich zerreißt.
Sie nimmt dem Schmerz, der in dir leibt,
Das Wort vom Mund, das ihn beschreibt.
Doch eines Tags, wenn du erwachst,
Da hat sie, scheint's, sich fortgeschoren.
Du aber dehnst dich, neugeboren,
Voll rosigem Mut. Du singst, du lachst...
Trau ja nicht diesem Jubelschlag.
Die Krankheit hat nur Ausgangstag.
Kehrt sie dann heim im Dämmergrau
Frostklappernd unter deine Decke,
Bringt sie dein kurzes Glück zur Strecke
Und heischt als strenge Ehefrau,
Dass du, dieweil du niederfährst,
Ausschließend dich an ihr bewährst.
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