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Georg Herwegh (1817-1875)
Ich möchte hingehn ...
Ich möchte hingehn wie das Abendrot
Und wie der Tag in seinen letzten Gluten -
O leichter, sanfter, ungefühlter Tod!
Mich in den Schoß des Ewigen verbluten.
Ich möchte hingehn wie der heitre Stern,
Im vollsten Glanz, in ungeschwächtem Blinken;
So stille und so schmerzlos möchte gern
Ich in des Himmels blaue Tiefen sinken.
Ich möchte hingehn wie der Blume Duft,
Der freudig sich dem schönen Kelch entringet
Und auf dem Fittich blütenschwangrer Luft
Als Weihrauch auf des Herren Altar schwinget.
Ich möchte hingehn wie der Tau im Tal,
Wenn durstig ihm des Morgens Feuer winken;
O wollte Gott, wie ihn der Sonnenstrahl,
Auch meine lebensmüde Seele trinken!
Ich möchte hingehn wie der bange Ton,
Der aus den Saiten einer Harfe dringet,
Und, kaum dem irdischen Metall entflohn,
Ein Wohllaut in des Schöpfers Brust erklinget.
Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot,
Du wirst nicht stille wie der Stern versinken,
Du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,
Kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken.
Wohl wirst du hingehn, hingehn ohne Spur,
Doch wird das Elend deine Kraft erst schwächen,
Sanft stirbt es einzig sich in der Natur,
Das arme Menschenherz muss stückweis brechen.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Otto von Leixner (1847-1907)
Ich möchte sterben gehn...
Ich möchte sterben gehn
An einem Frühlingstag,
Dabei die Sonne sehn
Und hören Amselschlag.
Gelagert wollt’ ich sein
Von einer treuen Hand
An einem grünen Rain,
Und vor mir weites Land.
Um mich des Werdens Drang,
Der aus den Tiefen quellt,
In mir schon leiser Klang
Aus einer andern Welt.
Hinein ins Auferstehn
Des Herzens letzten Schlag:
So möcht’ ich sterben gehn
An einem Frühlingstag.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/eichendorff.php
In der Fremde
Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
Es kennt mich dort keiner mehr.
Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit,
Da ruhe ich auch, und über mir
Rauschet die schöne Waldeinsamkeit
Und keiner mehr kennt mich auch hier.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php
Jung sterben
Jung sterben – in besten, noch hoffenden Jahren –
Wie schön muss das sein!
Du hättest nur Gutes, nur Frohes erfahren.
Blieb Alles dein.
Und es blieb an der Stätte, wo du begraben,
Nur Liebe zurück.
So gar nichts Trübes gekostet zu haben – – –
Wär’s nicht ein Glück?
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Julius Sturm (1816-1896)
Komm, o Nacht...
Komm, o Nacht! - und nimm mich hin,
Dass ich schlafend mich vergesse,
Länger nicht mit wachem Sinn
Meines Kummers Tiefen messe.
Schlafe, müdes, wundes Herz
Deine Klagen sind vergebens.
Schlaf ist Balsam deinem Schmerz,
Traum die Blüte meines Lebens.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Ada Christen (1839-1901)
Letzter Versuch
Ich habe mich zu erhängen gesucht:
Der Strick ist abgerissen.
Ich bin ins Wasser gesprungen:
Sie erwischten mich bei den Füßen.
Ich habe die Adern geöffnet mir:
Man hat mich noch gerettet.
Ich sprang auch einmal zum Fenster hinaus:
Weich hat der Sand mich gebettet.
Den Teufel! ich habe nun alles versucht,
Woran man sonst kann verderben -
Nun werd' ich wieder zu leben versuchen:
Vielleicht kann ich dann sterben.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Theodor Fontane (1819-1898)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_fontane.php
Mein Leben...
Mein Leben, ein Leben ist es kaum,
Ich geh durch die Straßen als wie im Traum,
Wie Schatten huschen die Menschen hin,
Ich selber ein Schatten dazwischen bin.
Und im Herzen tiefe Müdigkeit,
Alles mahnt mich, es ist Zeit.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Friedrich Lienhard (1865-1929)
Nicht will ich darum beten ...
Nicht will ich darum beten – in den Höh’n
Dem Herrn der Welt sei’s willig überlassen;
Doch deucht mir oft, es wäre groß und schön,
Dürft’ ich im goldnen Herbst die Welt verlassen.
Kein Wetter mehr in ruhevoller Luft,
Nicht Hitze mehr und noch nicht Frost und Schnee,
Nein, alles Land gefüllt mit müden Duft
Der Blumen, die in lächelnd leichtem Weh
Hinsanken in die halmenreichen Gruft.
Da ist der Abschied leicht, da flög’ ich auf,
Bestaunend meinen ungewohnten Flug,
Tief unter mir der zarten Bäche Lauf
Und über mir der wilden Gänse Zug,
Und still und weit das friedevolle Land ... – –
Wie bin ich frei! Ich fühle keinen Trieb,
Der mich hinunterzwingt, kein Schmeichelband.
Um meinen Körper, der auf Erden blieb,
Zankt sich wie ein Mückenschwarm der Wünsche Heer
Noch tagelang, bis der sich löst und der
Und andre erdgebannte Menschen sucht.
Noch schweb’ ich säumend über Berg und Schlucht,
Ein Kräuselrauch, und seh’ in tiefer Ferne,
Wie sich ein schwarz Gewimmel mit Gesang
Um einen Sarg bemüht am Wasgauhang –
Dann steig’ ich lächelnd in die ew’gen Sterne.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
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Alfred Lichtenstein (1889-1914)
Schwärmerei
Paul sagte:
Ach, wer doch ewig Auto fahren könnte –
Wir bohren uns durch hochgestielte Wälder,
Wir überholen Flächen, die sich endlos schienen.
Wir überfahren den Wind und überfallen die Dörfer, die flinken.
Aber verhasst sind uns die Gerüche der langsamen Städte –
Hei, wie wir fliegen! Immer den Tod entlang...
Wie wir ihn höhnen und ihn verspotten, der uns am Leben sitzt!
Der uns die Gräben legt und alle Straßen krümmt – ha, wir verlachen ihn
Und die Wege, die überwundenen, vergehen vor uns –
So werden wir die ganze Welt durchauteln ...
Bis wir einmal an einem heitern Abend
An einem starken Baum ein kräftges Ende finden.
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Georg Trakl (1887-1914)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/georg_trakl.php
Seele des Lebens
Verfall, der weich das Laub umdüstert,
Es wohnt im Wald sein weites Schweigen.
Bald scheint ein Dorf sich geisterhaft zu neigen.
Der Schwester Mund in schwarzen Zweigen flüstert.
Der Einsame wird bald entgleiten,
Vielleicht ein Hirt auf dunklen Pfaden.
Ein Tier tritt leise aus den Baumarkaden,
Indes die Lider sich vor Gottheit weiten.
Der blaue Fluss rinnt schön hinunter,
Gewölke sich am Abend zeigen;
Die Seele auch in engelhaftem Schweigen.
Vergängliche Gebilde gehen unter.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Novalis (1772-1801)
Sehnsucht nach dem Tode
Hinunter in der Erde Schoß,
Weg aus des Lichtes Reichen,
Der Schmerzen Wut und wilder Stoß
Ist froher Abfahrt Zeichen.
Wir kommen in dem engen Kahn
Geschwind am Himmelsufer an.
Gelobt sei uns die ewge Nacht,
Gelobt der ewge Schlummer.
Wohl hat der Tag uns warm gemacht,
Und welk der lange Kummer.
Die Lust der Fremde ging uns aus,
Zum Vater wollen wir nach Haus.
Was sollen wir auf dieser Welt
Mit unsrer Lieb' und Treue.
Das Alte wird hintangestellt,
Was soll uns dann das Neue.
O! einsam steht und tiefbetrübt,
Wer heiß und fromm die Vorzeit liebt.
Die Vorzeit wo die Sinne licht
In hohen Flammen brannten,
Des Vaters Hand und Angesicht
Die Menschen noch erkannten.
Und hohen Sinns, einfältiglich
Noch mancher seinem Urbild glich.
Die Vorzeit, wo noch blütenreich
Uralte Stämme prangten,
Und Kinder für das Himmelreich
nach Qual und Tod verlangten.
Und wenn auch Lust und Leben sprach,
Doch manches Herz für Liebe brach.
Die Vorzeit, wo in Jugendglut
Gott selbst sich kundgegeben
Und frühem Tod in Liebesmut
Geweiht sein süßes Leben.
Und Angst und Schmerz nicht von sich trieb,
Damit er uns nur teuer blieb.
Mit banger Sehnsucht sehn wir sie
In dunkle Nacht gehüllet,
In dieser Zeitlichkeit wird nie
Der heiße Durst gestillet.
Wir müssen nach der Heimat gehn,
Um diese heilge Zeit zu sehn.
Was hält noch unsre Rückkehr auf,
Die Liebsten ruhn schon lange.
Ihr Grab schließt unsern Lebenslauf,
Nun wird uns weh und bange.
Zu suchen haben wir nichts mehr –
Das Herz ist satt – die Welt ist leer.
Unendlich und geheimnisvoll
Durchströmt uns süßer Schauer –
Mir däucht, aus tiefen Fernen scholl
Ein Echo unsrer Trauer.
Die Lieben sehnen sich wohl auch
Und sandten uns der Sehnsucht Hauch.
Hinunter zu der süßen Braut,
Zu Jesus, dem Geliebten –
Getrost, die Abenddämmrung graut
Den Liebenden, Betrübten.
Ein Traum bricht unsre Banden los
Und senkt uns in des Vaters Schoß.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
William Shakespeare (1564-1616)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/shakespeare.php
Sonett LXVI
Müde von alle diesem wünsch’ ich Tod:
Verdienst zum Bettler sehn geboren werden,
Und hohle Dürftigkeit in Grün und Rot,
Und wie sich reinste Treu entfärbt auf Erden,
Und goldnen Ehrenschmuck auf Knechteshaupt,
Und jungfräuliche Tugend frech geschändet,
Und Hoheit ihres Herrschertums beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,
Und Kunst im Zungenbande der Gewalt,
Und Schulenunsinn, der Vernunft entgeistert,
Und schlichte Wahrheit, die man Einfalt schalt,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert:
Müde von alle dem, wär Tod mir süß;
Nur, dass ich sterbend den Geliebten ließ!
(aus dem Englischen von Gottlob Regis)
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Anton Ulrich, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel (1633-1714)
Sterbelied
Es ist genug, mein matter Sinn
Sehnt sich dahin, wo meine Väter schlaffen.
Ich hab es endlich guten Fug,
Es ist genug! Ich muss mir Rast verschaffen.
Ich bin ermüdt, ich hab geführt
Die Tages Bürd: Es muss eins Abend werden.
Erlös mich, Herr, spann aus den Pflug,
Es ist genug! Nimm von mir die Beschwerden.
Die große Last hat mich gedrückt,
Ja schier erstickt, so viele lange Jahre.
Ach lass mich finden, was ich such:
Es ist genug! Mit solcher Kreuzes Ware.
Nun gute Nacht, ihr meine Freund,
Ihr meine Feind, ihr Guten und ihr Bösen,
Euch folg die Treu, euch folg der Trug -
Es ist genug! Mein Gott will mich auflösen.
So nimm nun, Herr, hin meine Seel,
Die ich befehl in deine Händ und Pflege.
Schreib sie ein in dein Lebens-Buch.
Es ist genug! Dass ich mich schlafen lege.
Nicht besser soll es mir ergehn,
Als wie geschehn den Vätern, die erworben
Durch ihren Tod des Lebens Ruch.
Es ist genug! Es sei also gestorben.
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Klabund (1890-1928)
Tierherbst
Schon balzt der Auerhahn,
In den Äckerrinnen frieren Kaninchen.
Eine Gämse stürzt in den Gießbach.
Der Frosch entschläft.
Der Frost bereift die Flügel der letzten Fliege.
Der Fuchs ersehnt den hellen Winterpelz.
Geläut der Bäume, wenn die Blätter klingen.
Schlange raschelt durch totes Laub zum Bruder Strahl.
Wolken stürzen sich weinend in die Arme.
Elend des Abschieds, wenn der Wind verweht.
Erinnerung beglänzt den Bescheidenen.
Der erste Schnee. Ich möchte sterben gehn.
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Joseph von Eichendorff (1788-1857)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/eichendorff.php
Todeslust
Bevor er in die blaue Flut gesunken,
Träumt noch der Schwan und singet todestrunken;
Die sommermüde Erde im Verblühen
Lässt all ihr Feuer in den Trauben glühen;
Die Sonne, Funken sprühend, im Versinken,
Gibt noch einmal der Erde Glut zu trinken,
Bis, Stern auf Stern, die Trunkne zu umfangen,
Die wunderbare Nacht ist aufgegangen.
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