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Andreas Gryphius (1616-1664)
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Abend
Der schnelle Tag ist hin, die Nacht schwingt ihre Fahn
Und führt die Sternen auf. Der Menschen müde Scharen
Verlassen Feld und Werk; wo Tier und Vögel waren
Traurt itzt die Einsamkeit. Wie ist die Zeit vertan!
Der Port naht mehr und mehr sich zu der Glieder Kahn.
Gleich wie dies Licht verfiel, so wird in wenig Jahren
Ich, du und was man hat, und was man sieht hinfahren.
Dies Leben kömmt mir vor als eine Renne-Bahn.
Lass höchster Gott mich doch nicht auf dem Laufplatz gleiten,
Lass mich nicht Ach, nicht Pracht, nicht Lust, nicht Angst verleiten!
Dein ewig-heller Glanz sei vor und neben mir,
Lass, wenn der müde Leib erschläfft, die Seele wachen
Und wenn der letzte Tag wird mit mir Abend machen,
So reiß mich aus dem Tal der Finsternis zu dir.
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Klabund (1890-1928)
Am Luganer See
Durchs Fenster strömt der See zu mir herein,
Der Himmel auch mit seinem Mondenschein.
Die Wogen ziehen über mir dahin,
Ich träume, dass ich längst gestorben bin.
Ich liege auf dem Grunde alles Seins
Und bin mit Kiesel, Hecht und Muschel eins.
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Andreas Gryphius (1616-1664)
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An die Sternen
Ihr Lichter, die ich nicht auf Erden satt kann schauen,
Ihr Fackeln, die ihr Nacht und schwarze Wolken trennt
Als Diamante spielt, und ohn Aufhören brennt;
Ihr Blumen, die ihr schmückt des großen Himmels Auen:
Ihr Wächter, die als Gott die Welt auf-wollte-bauen;
Sein Wort die Weisheit selbst mit rechten Namen nennt
Die Gott allein recht misst, die Gott allein recht kennt
(Wir blinden Sterblichen! was wollen wir uns trauen!)
Ihr Bürgen meiner Lust, wie manche schöne Nacht
Hab ich, in dem ich euch betrachtete, gewacht?
Herolden diseer Zeit, wenn wird es doch geschehen,
Dass ich, der euer nicht allhier vergessen kann,
Euch, derer Liebe mir steckt Herz und Geister an
Von andern Sorgen frei werd unter mir besehen?
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Giacomo Leopardi (1798-1837)
An mich selbst
Nun wirst du ruhn für immer,
Mein müdes Herz. Es schwand der letzte Wahn,
Der ewig schien. Er schwand. Ich fühl’ es tief:
Die Hoffnung nicht allein
Auf holde Täuschung, auch der Wunsch entschlief.
So ruh für immer. Lange
Genug hast du geklopft. Nichts hier verdient
Dein reges Schlagen, keines Seufzers ist
Die Erde wert. Nur Schmerz und Langweil bietet
Das Leben, Andres nicht. Die Welt ist Kot.
Ergib dich denn! Verzweifle
Zum letzten Mal! Uns Menschen hat das Schicksal
Nur Eins geschenkt: den Tod. Verachte denn
Dich, die Natur, die schnöde
Macht, die verborgen herrscht zu unsrer Qual,
Und dieses Alls unendlich nicht’ge Öde!
(aus dem Italienischen von Paul Heyse)
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Andreas Gryphius (1616-1664)
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An sich selbst
Mir grauet vor mir selbst, mit zittern alle Glieder,
Wenn ich die Lipp' und Nas' und beider Augen Kluft,
Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft
Betracht', und die nun schon erstorbnen Augenlider.
Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder,
Und lallt ich weiß nicht was; die müde Seele ruft
Dem großen Tröster zu, das Fleisch reucht nach der Gruft,
Die Ärzte lassen mich, die Schmerzen kommen wieder,
Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Fell und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen eine Pein.
Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten!
Was ist der hohe Ruhm und Jugend, Ehr' und Kunst?
Wenn diese Stunde kommt: wird alles Rauch und Dunst.
Und eine Not muss uns mit allem Vorsatz töten.
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Nikolaus Lenau (1802-1850)
Bitte
Weil' auf mir, du dunkles Auge,
Übe deine ganze Macht,
Ernste, milde, träumerische,
Unergründlich süße Nacht!
Nimm mit deinem Zauberdunkel
Diese Welt von hinnen mir,
Dass du über meinem Leben
Einsam schwebest für und für.
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Friedrich Hebbel (1813-1863)
Dämmer-Empfindung
Was treibt mich hier von hinnen?
Was lockt mich dort geheimnisvoll?
Was ist’s, das ich gewinnen,
Und was, womit ich’s kaufen soll?
Trat unsichtbar mein Erbe,
Ein Geist, ein lust’ger, schon heran,
Und drängt mich, dass ich sterbe,
Weil er nicht eher leben kann?
Und winkt mir aus der Ferne
Die Traube schon, die mir gereift
Auf einem andern Sterne,
Und will, dass meine Hand sie streift?
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Friedrich Hölderlin (1770-1843)
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Das Angenehme dieser Welt...
Das Angenehme dieser Welt hab' ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne,
Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne!
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Charles Baudelaire (1821-1867)
Der freudige Tote
Schwer soll der Grund und reich an Schnecken sein,
Wo meine Gruft zu schaufeln ich begehre,
Dass dort zum Schlaf sich streckt mein alterndes Gebein
Und im Vergessen ruht gleich wie der Hai im Meere.
Ich hasse Testamente, Grab und Stein,
Und von der Welt erbettl ich keine Zähre;
Nein, lieber lüde ich den Schwarm der Raben ein,
Damit er stückweis mein verwesend Aas verzehre.
O Würmer! Schwarz Geleit ohn Auge, ohne Ohr!
Ein Abgeschiedner kommt, der froh den Tod erkor.
Ihr Söhne des Zerfalls, die dem Genusse leben,
Durch meine Trümmer kriecht mit reuelosem Mut
Und sagt mir: kann es wohl noch eine Folter geben
Für den entseelten Leib, der tot bei Toten ruht?
(aus dem Französischen von Wolf von Kalckreuth)
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Joseph von Eichendorff (1788-1857)
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Der Kranke
Soll ich dich denn nun verlassen,
Erde, heitres Vaterhaus?
Herzlich Lieben, mutig Hassen,
Ist denn alles, alles aus?
Vor dem Fenster durch die Linden
Spielt es wie ein linder Gruß,
Lüfte, wollt ihr mir verkünden,
Dass ich bald hinunter muss? -
Liebe, ferne, blaue Hügel,
Stiller Fluss im Talesgrün,
Ach, wie oft wünscht ich mir Flügel,
Über euch hinwegzuziehn!
Da sich jetzt die Flügel dehnen
Schaur ich in mich selbst zurück,
Und ein unbeschreiblich Sehnen
Zieht mich zu der Welt zurück.
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
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Der letzte Weg
"Ich gehe ins Wasser," sagte sie leis,
"Ade!
Du hast es gut mit mir gemeint.
So weiß ich einen, der um mich weint.
Hab Dank!"
Ich aber sah ihr tiefes Weh
Und küsste sie, die arm und krank,
Und sagte: "Geh!"
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Wilhelm Müller (1794-1827)
Der Wegweiser
Was vermeid ich denn die Wege,
Wo die andern Wandrer gehn,
Suche mir versteckte Stege
Durch verschneite Felsenhöhn?
Habe ja doch nichts begangen,
Dass ich Menschen sollte scheu’n -
Welch ein törichtes Verlangen
Treibt mich in die Wüstenein?
Weiser stehen auf den Straßen,
Weisen auf die Städte zu,
Und ich wandre sonder Maßen
Ohne Ruh und suche Ruh.
Einen Weiser seh ich stehen
Unverrückt vor meinem Blick;
Eine Straße muss ich gehen,
Die noch keiner ging zurück.
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Marie Ebner-Eschenbach (1830-1916)
Grabschrift
Im Schatten dieser Weide ruht
Ein armer Mensch, nicht schlimm noch gut.
Er hat gefühlt mehr als gedacht,
Hat mehr geweint als er gelacht;
Er hat geliebt und viel gelitten,
Hat schwer gekämpft und - nichts erstritten.
Nun liegt er endlich sanft gestreckt,
Wünscht nicht zu werden auferweckt.
Wollt Gott an ihm das Wunder tun,
Er bäte: Herr, o lass mich ruhn!
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Nikolaus Lenau (1802-1850)
Herbstgefühl
Mürrisch braust der Eichenwald,
Aller Himmel ist umzogen,
Und dem Wandrer, rauh und kalt,
Kommt der Herbstwind nachgeflogen.
Wie der Wind zu Herbsteszeit
Mordend hinsaust in den Wäldern,
Weht mir die Vergangenheit
Von des Glückes Stoppelfeldern.
An den Bäumen, welk und matt,
Schwebt des Laubes letzte Neige,
Niedertaumelt Blatt auf Blatt
Und verhüllt die Waldessteige;
Immer dichter fällt es, will
Mir den Reisepfad verderben,
Dass ich lieber halte still,
Gleich am Orte hier zu sterben.
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Michelangelo Buonarroti (1475-1564)
Hier am äußersten Rande...
Hier am äußersten Rande des Lebensmeeres
Lern’ ich zu spät erkennen, o Welt, den Inhalt
Deiner Freuden, wie du den Frieden, den du
Nicht zu gewähren vermagst, versprichst und jene
Ruhe des Daseins, die schon vor der Geburt stirbt.
Angstvoll blick’ ich zurück, nun da der Himmel
Meinen Tagen ein Ziel setzt: unaufhörlich
Hab’ ich vor Augen den alten, süßen Irrtum,
Der dem, den er erfasst, die Seele vernichtet.
Nun beweis’ ich es selber: den erwartet
Droben das glücklichste Los, der von der Geburt ab
Sich auf dem kürzesten Pfad zum Tode wandte.
(aus dem Italienischen von Hermann Grimm)
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