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Max Dauthendey (1867-1918)
Du ziehst durch mein Leben wie ein spiegelnder Fluss
Du ziehst durch mein Leben wie ein spiegelnder Fluss,
Trägst Berge davon mit silbernem Fuß.
Wie der Herbsttag durchsichtig erhellst du die Welt;
Du bist zart wie ein Blatt, das im Frost hinfällt,
Kostbar vom Geblüt wie die Blume des Wein,
Das Land, das dich trägt, wird ein Edelstein.
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Erich Mühsam (1878-1934)
E. B.
Du bist nicht schön, und dennoch lieb ich dich.
Du lügst, und dennoch glaub ich deinen Worten.
Nie öffnest du mir deiner Gnadenpforten
Geheiligtes, und dennoch lockst du mich.
Warum verwirrst du, was mein Wesen ist,
machst meine Wege strauchelnd und gefährlich?
Weil du mir unergründlich, unerklärlich -
und dennoch aller Rätsel Lösung bist.
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Nikolaus Lenau (1802-1850)
Frage nicht
Wie sehr ich dein, soll ich dir sagen?
Ich weiß es nicht und will nicht fragen;
Mein Herz behalte seine Kunde,
Wie tief es dein im Grunde.
O still! ich möchte sonst erschrecken,
Könnt ich die Stelle nicht entdecken,
Die unzerstört für Gott verbliebe
Beim Tode deiner Liebe.
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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/goethe.php
Frech und froh
Liebesqual verschmäht mein Herz,
Sanften Jammer, süßen Schmerz;
Nur vom Tücht’gen will ich wissen,
Heißem Äuglen, derben Küssen.
Sei ein armer Hund erfrischt
Von der Lust, mit Pein gemischt!
Mädchen, gib der frischen Brust
Nichts von Pein und alle Lust.
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Der von Kürenberg (um 1150/60)
Fürwahr, ich stand gestern Abend...
Jô stuont ich nehtint spâte vor dînem bette,
dô getorste ich dich, frouwe, niwet wecken.
"des gehazze got den dînen lîp!
jô enwas ich niht ein eber wilde", sô sprach das wîp.
Fürwahr, ich stand gestern Abend spät vor deinem Bett,
traute mich dann nicht, dich, Herrin, zu wecken.
"Dafür soll Gott dein Leben hassen!
Ich war doch wirklich kein wilder Eber", so sprach die Frau.
(aus dem Mittelhochdeutschen von Wersch)
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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/goethe.php
Gleich und gleich
Ein Blumenglöckchen
Vom Boden hervor
War früh gesprosset
In lieblichem Flor;
Da kam ein Bienchen
Und naschte fein: -
Die müssen wohl beide
Füreinander sein.
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Marie Ebner-Eschenbach (1830-1916)
Grenzen der Liebe
Alles kann Liebe:
zürnen und zagen,
leiden und wagen,
demütig werben,
töten, verderben,
alles kann Liebe.
Alles kann Liebe:
lachend entbehren,
weinend gewähren,
heißes Verlangen
nähren in bangen,
in einsamen Tagen -
alles kann Liebe -
nur nicht entsagen!
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Heinrich Heine (1797-1856)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/heinrich_heine.php
Hast du die Lippen...
Hast du die Lippen mir wund geküsst,
So küsse sie wieder heil,
Und wenn du bis Abend nicht fertig bist,
So hat es auch keine Eil.
Du hast ja noch die ganze Nacht,
Du Herzallerliebste mein!
Man kann in solch einer ganzen Nacht
Viel küssen und selig sein.
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Christian Morgenstern (1871-1914)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/morgenstern.php
Hier im Wald...
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet,
in das Flüstern, in das Rauschen
leise liebe Worte mischend,
öfter aber noch dem Schweigen
lange Küsse zugesellend,
unerschöpflich - unersättlich,
hingegebne, hingenommne,
ineinander aufgelöste,
zeitvergessne, weltvergessne.
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet...
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Theodor Storm (1817-1888)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_storm.php
Ich bin mir meiner Seele...
Ich bin mir meiner Seele
In deiner nur bewusst,
Mein Herz kann nimmer ruhen
Als nur an deiner Brust!
Mein Herz kann nimmer schlagen
Als nur für dich allein.
Ich bin so ganz dein eigen,
So ganz auf immer dein. --
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August von Platen (1796-1835)
Ich bin wie Leib dem Geist
Ich bin wie Leib dem Geist, wie Geist dem Leibe dir;
Ich bin wie Weib dem Mann, wie Mann dem Weibe dir,
Wen darfst du lieben sonst, da von der Lippe weg
Mit ew’gen Küssen ich den Tod vertreibe dir?
Ich bin dir Rosenduft, dir Nachtigallgesang,
Ich bin der Sonne Pfeil, des Mondes Scheibe dir;
Was willst du noch? Was blickt die Sehnsucht noch umher?
Wirf alles, alles hin: du weißt, ich bleibe dir!
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Christian Morgenstern (1871-1914)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/morgenstern.php
Ich liebe dich, du Seele...
Ich liebe dich, du Seele, die da irrt
im Tal des Lebens nach dem rechten Glücke,
ich liebe dich, die manch ein Wahn verwirrt,
der manch ein Traum zerbrach in Staub und Stücke.
Ich liebe deine armen wunden Schwingen,
die ungestoßen in mir möchten wohnen;
ich möchte dich mit Güte ganz durchdringen;
ich möchte dich in allen Tiefen schonen.
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Friedrich Rückert (1788-1866)
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muss...
Ich liebe dich, weil ich dich lieben muss;
Ich liebe dich, weil ich nichts anders kann;
Ich liebe dich nach einem Himmelschluss;
Ich liebe dich durch einen Zauberbann.
Dich lieb’ ich, wie die Rose ihren Strauch;
Dich lieb’ ich, wie die Sonne ihren Schein;
Dich lieb’ ich, weil du bist mein Lebenshauch;
Dich lieb’ ich, weil dich lieben ist mein Sein.
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Novalis (1772-1801)
Ich sehe dich...
Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.
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Li-hung-tschang (gest. 1901)
In den Wind gesungen
Wenn ich, an ihren Brüsten hingesunken,
Den heiligsten der Tränke tief getrunken:
Komm, Drache Tod, lass mit dem letzten Hauch
Uns in die Luft vergehn wie blasser Rauch,
Und lass uns noch nach hunderttausend Jahren
Vereint als Sturmwind durch die Lüfte fahren!
(aus dem Chinesischen von Klabund)
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