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Theodor Storm (1817-1888)
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August (Inserat)
Die verehrlichen Jungen, welche heuer
Meine Äpfel und Birnen zu stehlen gedenken,
Ersuche ich höflichst, bei diesem Vergnügen
Wo möglich insoweit sich zu beschränken,
Dass sie daneben auf den Beeten
Mir die Wurzeln und Erbsen nicht zertreten.
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php
Aus meiner Kinderzeit
Vaterglückchen, Mutterschößchen,
Kinderstübchen, trautes Heim,
Knusperhexlein, Tantchen Röschen,
Kuchen schmeckt wie Fliegenleim.
Wenn ich in die Stube speie,
Lacht mein Bruder wie ein Schwein.
Wenn er lacht, haut meine Schwester.
Wenn sie haut, weint Mütterlein.
Wenn die weint, muss Vater fluchen.
Wenn er flucht, trinkt Tante Wein.
Trinkt sie Wein, schenkt sie mir Kuchen:
Wenn ich Kuchen kriege, muss ich spein.
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Detlev von Liliencron (1844-1909)
Ballade in U-dur
Es lebte Herr Kunz von Karfunkel
Mit seiner verrunzelten Kunkel
Auf seinem Schlosse Punkpunkel
In Stille und Sturm.
Seine Lebensgeschichte war dunkel,
Es murmelte manch Gemunkel
Um seinen Turm.
Täglich ließ er sich sehen
Beim Auf- und Niedergehen
In den herrlichen Ulmenalleen
Seines adlichen Guts.
Zuweilen blieb er stehen
Und ließ die Federn wehen
Seines Freiherrnhuts.
Er war just hundert Jahre,
Hatte schneeschlohweiße Haare
Und kam mit sich ins klare:
Ich sterbe nicht.
Weg mit der verfluchten Bahre
Und ähnlicher Leichenware!
Hol sie die Gicht!
Werd ich, neugiertrunken
Ins Gartengras hingesunken,
Entdeckt von dem alten Halunken,
Dann grunzt er plump:
Töw Sumpfhuhn, ick wil di glieks tunken
In den Uhlenpfuhl zu den Unken,
Du schrumpliger Lump.
Einst lag ich im Verstecke
Im Park an der Rosenhecke,
Da kam auf der Ulmenstrecke
Etwas angemufft.
Ich bebe, ich erschrecke:
Ohne Sense kommt mit Geblecke
Der Tod, der Schuft.
Und von der andern Seite,
Mit dem Krückstock als Geleite,
In knurrigem Geschreite,
Kommt auch einer her.
Der sieht nicht in die Weite,
Der sieht nicht in die Breite,
Geht gedankenschwer.
Hallo, du kleine Mücke,
Meckert der Tod voll Tücke,
Hier ist eine Gräberlücke,
Hinunter ins Loch!
Erlaube, dass ich dich pflücke,
Sonst hau ich dir auf die Perücke,
Oller Knasterknoch.
Der alte Herr, mit Grimassen,
Tut seinen Krückstock fest fassen:
Was hast du hier aufzupassen,
Du Uhu du!
Weg da aus meinen Gassen,
Sonst will ich dich abschrammen lassen
zur Uriansruh!
Sein Krückstock saust behände
Auf die dürren, gierigen Hände,
Die Knöchel- und Knochenverbände:
Knicksknucksknacks.
Freund Hein schreit: Au, mach ein Ende!
Au, au, ich lauf ins Gelände
Nach Haus schnurstracks.
Noch heut lebt Herr Kunz von Karfunkel
Mit seiner verrunzelten Kunkel
Auf seinem Schlosse Punkpunkel
In Stille und Sturm.
Seine Lebensgeschichte ist dunkel,
Es murmelt und raunt manch Gemunkel
Um seinen Turm.
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php
Das Ei
Es fiel einmal ein Kuckucksei
Vom Baum herab und ging entzwei.
Im Ei da war ein Krokodil;
Am ersten Tag war’s im April.
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Christian Morgenstern (1871-1914)
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Das Gebet
Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Halb neun!
Halb zehn!
Halb elf!
Halb zwölf!
Zwölf!
Die Rehlein beten zur Nacht,
hab acht!
Sie falten die kleinen Zehlein,
die Rehlein.
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Heinrich Seidel (1842-1906)
Das Huhn und der Karpfen
Auf einer Meierei
Da war einmal ein braves Huhn,
Das legte, wie die Hühner tun,
An jedem Tag ein Ei
Und kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte,
Als ob's ein Wunder sei.
Es war ein Teich dabei,
Darin ein braver Karpfen saß
und stillvergnügt sein Futter fraß,
Der hörte das Geschrei:
Wie's kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte,
Als ob's ein Wunder sei.
Da sprach der Karpfen: "Ei!
Alljährlich leg' ich ´ne Million
Und rühm' mich dess' mit keinem Ton;
Wenn ich um jedes Ei
So kakelte,
Mirakelte,
Spektakelte -
Was gäb's für ein Geschrei.
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Christian Morgenstern (1871-1914)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/morgenstern.php
Das Nasobem
Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobem,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.
Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.
Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobem.
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Heinrich Heine (1797-1856)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/heinrich_heine.php
Der tugendhafte Hund
Ein Pudel, der mit gutem Fug
Den schönen Namen Brutus trug,
War vielberühmt im ganzen Land
Ob seiner Tugend und seinem Verstand.
Er war ein Muster der Sittlichkeit,
Der Langmut und Bescheidenheit.
Man hörte ihn loben, man hörte ihn preisen
Als einen vierfüßigen Nathan den Weisen.
Er war ein wahres Hundejuwel!
So ehrlich und treu! eine schöne Seel'!
Auch schenkte sein Herr in allen Stücken
Ihm volles Vertrauen, er konnte ihn schicken
Sogar zum Fleischer. Der edle Hund
Trug dann einen Hängekorb im Mund,
Worin der Metzger das schöngehackte
Rindfleisch, Schaffleisch, auch Schweinefleisch packte. -
Wie lieblich und lockend das Fett gerochen,
Der Brutus berührte keinen Knochen,
Und ruhig und sicher, mit stoischer Würde,
Trug er nach Hause die kostbare Bürde.
Doch unter den Hunden wird gefunden
Auch eine Menge von Lumpenhunden
- Wie unter uns, - gemeine Köter,
Tagdiebe, Neidharde, Schwerenöter,
Die ohne Sinn für sittliche Freuden
Im Sinnenrausch ihr Leben vergeuden!
Verschworen hatten sich solche Racker
Gegen den Brutus, der treu und wacker,
Mit seinem Korb im Maule, nicht
Gewichen von dem Pfad der Pflicht. -
Und eines Tages, als er kam
Vom Fleischer und seinen Rückweg nahm
Nach Hause, da ward er plötzlich von allen
Verschwornen Bestien überfallen;
Da ward ihm der Korb mit dem Fleisch entrissen,
Da fielen zu Boden die leckersten Bissen,
Und fraßbegierig über die Beute
Warf sich die ganze hungrige Meute. -
Brutus sah anfangs dem Schauspiel zu,
Mit philosophischer Seelenruh';
Doch als er sah, dass solchermaßen
Sämtliche Hunde schmausten und fraßen,
Da nahm auch er an der Mahlzeit teil
Und speiste selbst eine Schöpsenkeul'.
Moral
Auch du, mein Brutus, auch du, du frisst?
So ruft wehmütig der Moralist.
Ja, böses Beispiel kann verführen;
Und, ach! gleich allen Säugetieren,
Nicht ganz und gar vollkommen ist
Der tugendhafte Hund - er frisst!
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php
Die Feder
Ein Federchen flog durch das Land;
Ein Nilpferd schlummerte im Sand.
Die Feder sprach: „Ich will es wecken!“
Sie liebte, andere zu necken.
Aufs Nilpferd setzte sich die Feder
Und streichelte sein dickes Leder.
Das Nilpferd sperrte auf den Rachen
Und musste ungeheuer lachen.
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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Die wandelnde Glocke
Es war ein Kind, das wollte nie
Zur Kirche sich bequemen,
Und sonntags fand es stets ein Wie,
Den Weg ins Feld zu nehmen.
Die Mutter sprach: "Die Glocke tönt,
Und so ist dir's befohlen,
Und hast du dich nicht hingewöhnt,
Sie kommt und wird dich holen."
Das Kind, es denkt: Die Glocke hängt
Da droben auf dem Stuhle.
Schon hat's den Weg ins Feld gelenkt,
Als lief' es aus der Schule.
Die Glocke, Glocke tönt nicht mehr,
Die Mutter hat gefackelt.
Doch welch ein Schrecken hinterher!
Die Glocke kommt gewackelt.
Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum;
Das arme Kind im Schrecken,
Es läuft, es kommt als wie im Traum:
Die Glocke wird es decken.
Doch nimmt es richtig seinen Husch,
Und mit gewandter Schnelle
Eilt es durch Anger, Feld und Busch
Zur Kirche, zur Kapelle.
Und jeden Sonn- und Feiertag
Gedenkt es an den Schaden,
Lässt durch den ersten Glockenschlag,
Nicht in Person sich laden.
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Christian Morgenstern (1871-1914)
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Die zwei Wurzeln
Zwei Tannenwurzeln groß und alt
unterhalten sich im Wald.
Was droben in den Wipfeln rauscht,
das wird hier unten ausgetauscht.
Ein altes Eichhorn sitzt dabei
und strickt wohl Strümpfe für die zwei.
Die eine sagt: knig. Die andre sagt: knag.
Das ist genug für einen Tag.
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August Kopisch (1799-1853)
Die Zwerge in Pinneberg
»In Pinneberg eine Hochzeit ist, auf auf, ihr lustigen
Geister!
Flink hin, wo's was zu essen gibt, wir sind Schnablierens
Meister!«
»Ja!« rief das sämtliche Gezwerg,
»Nach Pinneberg - nach Pinneberg!«
Mit feinen Stimmchen: »Pinneberg!«
Mit gröberen - »Nach Pinneberg!
Ja Pinneberg!
Nach Pinneberg!«
Die Gäste sitzen schon am Tisch und denken nun zu
schmausen;
Doch zwischen hockt das Geistervolk, und flink beginnt das
Mausen.
Kehrt sich ein Gast zur Nachbarin,
Schlipp schlapp, ist seine Suppe hin!
Es fasst es kein Verstand und Sinn,
Er sieht sich um, wo ist sie hin?
Wo ist sie hin,
Wo ist sie hin?
Es sind die Zwerge nicht zu sehn, sie haben Nebelkappen,
Sie drehen, wenden, ducken sich, man kann sie schwer
ertappen.
Sie höhlen aus den ganzen Fisch,
Sie ziehen aus der Gans den Wisch,
Sie langen das Konfekt vom Tisch,
Sie trinken aus den Gläsern frisch
Wein und Gemisch
Verschwenderisch!
Der Tanz beginnt, man steht nun auf, die Gäste sind noch
nüchtern,
Es knurrt der Magen, und man war im Nehmen doch nicht
schüchtern!
Doch, kam auch noch soviel herein,
Gleich war das Zwergvolk hinterdrein,
Weg war sogleich Bier, Met und Wein,
Im Nu auch jeder Teller rein
Von Leckerein Und Näscherein!
Die Gäste sind zum Tanz so leicht, als war' es vor dem
Speisen.
Hei! wie gelang den Paaren es, im Saal herumzukreisen!
Doch bald erhebt ein Stäuben sich
So mächtiglich und fürchterlich,
Als tanzte hier unsichtbarlich
Der Püsterich mit Alberich
Und Alberich
Mit Kalberich.
Und sieh! so war's; die Zwerge sind vom vielen Wein
betrunken:
Da wird im Saal herumgeschleift, gehumpelt und gehunken!
Den einen juckt so weit die Haut,
Er küsst beherzt die schöne Braut,
Und was der eine sich getraut,
Getraut sich alles böse Kraut:
Es graut der Braut,
Die fühlt, nicht schaut.
Den Bräutigam verdrießt das Ding: er schlägt um sich im
Zorne
Und trifft, da fliegt ein Käppchen ab dem einen Zwerg von
vorne.
Das fängt der Bräutigam sodann
Und sieht nunmehr den kleinen Mann,
Der aber blickt ihn bittend an
Und weint, so sehr man weinen kann:
»Sei kein Tyrann!
Lass los den Bann!«
»Halt fest!« rief da ein Gast ihm zu, »dann kommen andre
Zwerge,
Die bringen dir zum Lösegeld viel Schönes aus dem Berge.
So! kneif ihn recht! dann schreit er sehr,
Da kommen Zwerge mehr und mehr:
Sieh! keiner hat die Hände leer,
Und alle tragen Schätze schwer;
Sie keuchen sehr: Kneif ihn noch mehr!«
Wie mühsam kommt nun einer an mit einer goldnen Kette
Und fleht der schönen Braut, dass sie den Kameraden rette.
Die Braut, zufrieden mit dem Kauf,
Setzt nun dem Schelm sein Käppchen auf,
Gibt einen Kuss ihm obenauf
Und sagt: »Nun, armer Schelm, nun lauf.
Lauf Zwergehauf,
Den Berg hinauf!«
Da lief, so schnell es konnte, fort das ganze Volk der
Zwerge
Und zankte sich noch lange Zeit, man hört es tief im Berge.
Sie sagten: »Nie nach Pinneberg -
Spricht einer noch von Pinneberg,
Den schicken wir nach Pinneberg,
Und lassen ihn in Pinneberg!
In Pinneberg,
In Pinneberg.«
Der Braut zu Füßen aber liegt der Saal gehäuft voll Schätze,
Und jeder Gast empfängt ein Stück, dass er sich dran
ergötze.
Aufs neu' beginnt das ganze Fest;
Und da nun fort das Wespennest,
Ein jeder sich's auch schmecken lässt,
Was man ihm bringt aus Ost und West,
Und hält es fest
Bis auf den Rest.
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
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Ernster Rat an Kinder
Wo man hobelt, fallen Späne.
Leichen schwimmen in der Seine.
An dem Unterleib der Kähne
Sammelt sich ein zäher Dreck.
An die Strähnen von den Mähnen
Von den Löwen und Hyänen
Klammert sich viel Ungeziefer.
Im Gefieder von den Hähnen
Nisten Läuse; auch bei Schwänen.
(Menschen gar nicht zu erwähnen,
Denn bei ihnen geht's viel tiefer.)
Nicht umsonst gibt's Quarantäne.
Allen graust es, wenn ich gähne.
Ewig rein bleibt nur die Träne
Und das Wasser der Fontäne.
Kinder, putzt euch eure Zähne!!
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Robert Reinick (1805-1852)
Großes Geheimnis
Es sitzt ein Knab am Bach
und sieht den Wellen nach.
Sie sprudeln und sie rauschen.
Er denkt: "Ich muss doch lauschen,
was all die Wellen plaudern!"
Und's Knäblein ohne Zaudern,
es bückt sich zu den Quellchen,
da kommt ganz fix ein Wellchen
gesprudelt und gerauscht -
was hat es da gelauscht!
Doch kann es nichts verstehen,
und eh es sich's versehen,
bückt es sich tiefer hin -
und liegt im Wasser drin.
Zum Glücke war der Bach
ganz hell und klar und flach,
schnell sprang der Knab heraus
und sah ganz lustig aus.
Und als ich ihn gefragt,
was ihm der Bach gesagt,
sprach er nach kurzem Zaudern:
"Ihr dürft es keinem plaudern!
Ein groß' Geheimnis ist,
was er mir sagte, wisst!
Er sagte, wisst ihr, was?
Das Wasser, das macht nass!
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php
Heimatlose
Ich bin fast
Gestorben vor Schreck:
In dem Haus, wo ich zu Gast
War, im Versteck,
Bewegte sich,
Regte sich
Plötzlich hinter einem Brett
In einem Kasten neben dem Klosett,
Ohne Beinchen,
Stumm, fremd und nett
Ein Meerschweinchen.
Sah mich bange an,
Sah mich lange an,
Sann wohl hin und sann her,
Wagte sich
Dann heran
Und fragte mich:
"Wo ist das Meer?"
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