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Volksgut
Hänsel und Gretel
Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald.
Es war so finster und auch so bitter kalt.
Sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein.
Wer mag der Herr wohl von diesem Häuschen sein?
Hu, hu, da schaut eine alte Hexe raus!
Lockte die Kinder ins Pfefferkuchenhaus.
Sie stellte sich gar freundlich, o Hänsel, welche Not!
Ihn wollt' sie braten im Ofen braun wie Brot.
Doch als die Hexe zum Ofen schaut hinein,
Ward sie gestoßen von Hans und Gretelein.
Die Hexe mußte braten, die Kinder geh'n nach Haus.
Nun ist das Märchen von Hans und Gretel aus.
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Theodor Fontane (1819-1898)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_fontane.php
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: "Junge, wiste 'ne Beer?"
Und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn."
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit,
Da sagte von Ribbeck: "Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab."
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen "Jesus meine Zuversicht",
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
"He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?"
So klagten die Kinder. Das war nicht recht,
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht,
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Misstrauen gegen den eigenen Sohn,
Der wusste genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr, aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprössling sprosst heraus.
Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: "Wiste 'ne Beer?"
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ich gew di 'ne Birn."
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
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Franz Graf von Pocci (1807-1876)
Kasperl bei den Menschenfressern
Hier auf dem großen, weiten Meer
Viel Schiffe segeln hin und her;
Aus Indien und Amerika,
Aus Asien und Australia;
Mit Waren aller Art beschwert,
Die in Europa man begehrt,
Ziehn stolz sie auf dem Ozean,
Die Mäste, Segel, Wimpel dran.
Kanonenboote gibt es auch,
Draus schauet mancher eh’rne Schlauch,
Und mit den sogenannten Ehrenschüssen
Die Schiffe sich begegnend grüßen;
Oft aber sausen Kugeln schwer,
Kömmt ein Seeräuber übers Meer,
Da kracht’s und blitzt’s, manch Schiff verbrennt,
Wenn durch den Kiel die Kugel rennt,
Die Pulverkammer fliegt entzwei,
Und Schiff und Mann sind bald wie Brei!
Noch ärger ist’s, wenn auf der See
Ein Sturm entsteht, da heißt’s o weh! -
Denn oft versinkt ins nasse Grab
Das stolze Schiff mit aller Hab’;
Da rennen sie durch Trepp’ und Kammern,
Man hört nur schreien, stöhnen, jammern,
Das Rettungsboot wird abgelassen,
Wie kann das alle Mannschaft fassen?
Sie stoßen, wälzen, drängen sich,
Es ist ein Anblick fürchterlich!
So schieden aus dem Vaterland
Schon viele, die der Tod bald fand,
Als sie, um Schätze zu gewinnen,
Zu Schiffe zogen weit von hinnen!
Lasst euch nun ein Geschichtchen sagen,
Das sich mit Kasperl zugetragen,
Als eine Seefahrt er gemacht,
Und aber doch nichts heimgebracht.
Kurz! Kasperl schwimmt auf einem Kahn
Dort durch den großen Ozean,
Am andern Ufer, denkt er, gleich
Werd' ich in vierzehn Tagen reich;
Denn dort liegt Gold wie Sand am Meer,
Das schlepp' ich nach Europa her.
Kaum ist der Kasperl mitten drin,
Schießt gleich auf ihn ein Walfisch hin,
Und öffnet seinen Rachen weit,
Der einen Strahl von Wasser speit,
Drauf tut es einen großen Ruck,
Verschlinget Kasperl auf einen Schluck.
Der rutscht sogleich in seinen Magen,
Was ihm jedoch nicht will behagen.
Er springt und stößt im Bauch so sehr,
Dass es dem Fisch gefällt nicht mehr.
Der speit ihn schon nach einer Stund’
Hinwiederum aus seinem Mund
Auf eine Insel an den Strand -
Ein gänzlich unentdecktes Land.
Herr Jemine, Herr Jemine!
Wie tut dem Kasperl alles weh,
Weil er so daliegt auf dem Bauch
Ganz miserabel bei einem Strauch;
Zerrissen sind die Höslein sehr,
Und auch sein Magen ist ganz leer!
Er reißt die Haar’ sich aus dem Schopf,
Schreit was er kann aus seinem Kropf:
Zu Hilf, zu Hilf! - wo bin ich, ach!
Zu hungern ist nicht meine Sach!
Wer schafft mir eine gute Wurst!
Wer löscht mit Bier mir meinen Durst!
Zu Hilfe, zu Hilfe!
Auf dies Geschrei kömmt gleich ein Haufen
Von Menschenfressern hergelaufen,
Und wie sie Monsieur Kasperl seh’n,
Sie ganz verwundert bleiben steh’n.
Doch weil sie Menschenfleisch bald riechen,
Sie allgemach ihm näher schlichen,
Sie packten ihn bei seiner Hos’,
Was Monsieur Kasperl sehr verdross,
Und schleppten ihn, obgleich er schreit,
In ihre Höhle gar nicht weit.
Dort brennt ein großes Bratenfeuer,
Das ist fürwahr gar nicht geheuer.
Sie setzen ihn in eine Eck’
An einen pechschwarzdunklen Fleck,
Wo Kasperl nun ganz ungeniert,
Wie hier folgt traurig meditiert!
O, o, o!
Wo, wo, wo -
Sitz' ich nun im finstern Loch
Bei den Menschenfressern noch!
O, o, o!
So, so, so,
Geht es nun mir armem Tropf,
Ich verliere wohl den Kopf!
Ach, ach, ach,
Krach, krach, krach, -
Meine armen, armen Knochen,
Werden bald am Bratspieß kochen!
Hui, hui, hui,
Pfui, pfui, pfui!
Ach! Sie werden mich tranchieren
Und dann grässlich schnabulieren!
O, o, o!
So, so, so,
Hätt’ ich das zuvor bedenket,
Würd’ ich nicht so sehr gekränket!
Hierauf verfiel aus Herzenskummer
Der Kasperl in den tiefsten Schlummer.
Als Kasperl wieder wach geworden,
Sieht er die wilden Menschenhorden
Um ein großmächtig Feuer sitzen
Und einen langen Bratspieß spitzen,
Wobei mit grässlichem Geschrei
Sie singen diese Melodei:
Spissi spassi Casperladi
Hicki hacki Carbonadi
Trenschi transchi Appetiti
Fressi frassi fetti fitti
Schlicki schlucki Casperluki
Dricki drucki mameluki
Michi machi Casperlores
Spissi spassi tschu capores.
Nun ward dem Kasperl etwas übel;
Sie stecken ihn in einen Kübel,
Der war gefüllt mit Walfischschmalz,
Drin wird gerieben er mit Salz,
Wie man’s mit einem Hering macht,
Wobei die Wilden sehr gelacht!
Ihm aber war’s nicht lächerlich,
Vielmehr etwas abstecherlich.
Die Menschenfresser legen ihn
Ins Freie ans Gestade hin,
Damit im warmen Sonnenschein
Das Salz und Fett wohl dringe ein;
Sie kauern selber nieder sich
Und schnarchen alle fürchterlich,
Glaubt’s: so ein Menschenfresserschnarch
War auch dem Kasperl wohl zu arg;
Der zittert voller Angst und bebt,
Und danket Gott, dass er noch lebt.
Doch was geschieht? wie wunderbar!
Hoch in den Wolken schwebt ein Aar;
Vom Fettgeruche angezogen
Kömmt er auf Kasperl losgeflogen,
Packt bei dem Höslein schnell ihn an
Mit seinen Krallen, so fest er kann,
Erhebt sich mit ihm übers Meer,
Zu fliegen hin, wo er kam her.
So war es doch für Kasperl besser,
Als wenn ihn brieten die Menschenfresser,
Dass ihn der Adler in einem Flug
Zurücke nach Europa trug;
Auf eines hohen Berges Spitze
Setzt er ihn samt seiner Mütze,
Und schwebt dann wieder weiter fort
Zu seiner Brut im Felsenhort;
Er will wohl seinen Jungen sagen,
Dass einen Fraß er heimgetragen.
Nun war der Kasperl in Gefahr,
Dass ihn auffrisst der Adler Schar!
Doch er besinnt sich gar nicht lang
Was er zur Rettung nun anfang’;
Sogleich legt er sich auf den Buckel
Und tut nur ein ganz kleines Ruckel,
Er kollert, rollert überzwerch
In einem Hui hinab den Berg
Und lieget unten in einer Schlucht,
Dieweil der Aar ihn droben sucht.
Am ganzen Leib voll blauer Flecken
Tut Kasperl hin und her sich strecken,
Doch weil sein Magen ziemlich leer
Isst er im Walde Heidebeer.
Erfrischt, erquickt geht er nun weiter,
Begegnet sodann einem Reiter,
Der nimmt ihn hinter sich aufs Pferd,
Da er es höflich hat begehrt.
Nun geht es in Galopp und Trab
Durch Wälder und Berg auf Berg ab;
Bis Kasperl an sein Haus gelangt,
Wo ihn Frau Gretl froh empfangt,
Und auch die jungen Kasperlen
Von weitem aus dem Fenster seh’n;
Entgegen lauft ihm klein und groß
Und er steigt ab von seinem Ross,
Und alles aus dem ganzen Haus
Setzt sich voll Freuden zu dem Schmaus!
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Paula Dehmel (1862-1918)
Lied vom Monde
Wind, Wind, sause,
der Mond ist nicht zu Hause;
er ist wohl hinter den Berg gegangen,
will vielleicht eine Sternschnuppe fangen,
Wind, Wind, sause.
Stern, Stern, scheine,
der Mond, der ist noch kleine;
Stern, Stern, scheine,
er hat die Sichel in der Hand,
er mäht das Gras am Himmelsrand,
Stern, Stern, scheine.
Singe, Vogel, singe,
der Mond ist guter Dinge;
er steckt den halben Taler raus,
das sieht blank und lustig aus,
singe, Vogel, singe.
Und hell wird's, immer heller;
der Mond, der hat 'nen Teller
mit allerfeinstem Silbersand,
den streut er über Meer und Land,
und hell wird's, immer heller.
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Friedrich Rückert (1788-1866)
Märchen
Ich weiß ein schönes Märchen.
Es war ein schönes Pärchen,
Hieß Hänselchen und Klärchen,
Die pflückten Blum' und Ährchen,
Und aßen reife Beerchen.
Das Klärchen hatt' ein Härchen,
Das Hänselchen ein Scherchen;
Das war ein goldnes Härchen,
Und das ein silbern Scherchen.
Das Hänselchen nahm Klärchen,
Schnitt mit dem Silberscherchen
Ihr das goldne Härchen;
Da ging das goldne Härchen
Entzwei am Silberscherchen;
Da ging das Silberscherchen
Entzwei am goldnen Härchen.
Da weinte laut das Klärchen
Um ihr verlornes Härchen,
Und Hänschen mit dem Klärchen
Um sein zerbrochnes Scherchen;
Laut weinte das Pärchen
Um Härchen und Scherchen;
Gar viele, viele Zährchen.
Laut weinten Blum' und Ährchen
Und alle reifen Beerchen,
Zusammen mit dem Pärchen
Um Härchen und Scherchen.
Da saß im Busch ein Stärchen,
Das sah die vielen Zährchen,
Da sprach das kluge Stärchen:
Was weint ihr denn, ihr Närrchen?
Das Härchen und das Scherchen,
Die Zährchen und die Ährchen,
Die Beerchen, und du Pärchen,
Und ich dazu, das Stärchen,
Sind alles nur ein Märchen.
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Adolf Glaßbrenner (1810-1876)
Vom unordentlichen Max
Max war sehr unordentlich.
Seine Sachen legt er sich
Nie zurecht, nie abends nett
Seine Kleider vor das Bett.
Nichts, nichts lag an seinem Ort,
Ausgestreut lag's hier und dort.
Hier der eine Strumpf, bei Seite
Auf der Erde lag der zweite.
Hinter'm Ofen lag ein Schuh,
Seine Höschen auch dazu,
Und der and're Schuh, er stand
Wo der Rock lag, an der Wand.
Aber seht nur, Kinder, seht,
Wie es ihm des Morgens geht!
Vater nimmt die Kleider bunt,
Zieht sie an dem großen Hund!
Zieht ihm an den Rock so warm,
Und die Hos', und untern Arm
Steckt er ihm die Mappe. Ah!
Max steht noch im Hemde da!
Und was will der Vater nun,
Was der kleine Max soll tun?
In die Schule muß der Max
Gehen mit dem Hunde stracks.
Seht nur den Max Liederlich
In dem Hemd! Wie schämt er sich!
Doch der Hund geht stolz einher,
Als ob er ein Schüler wär'!
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