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Selma Meerbaum-Eisinger (1924-1942)
Schlaflied
Schlaf, mein Kindchen, so schlaf schon ein,
so schlaf doch und weine nicht mehr.
Sieh nur, im Schlaf ist die Welt ja dein,
so schlaf schon und wein nicht so sehr.
Schließe die Augen und schlafe schon,
hör nur, es rauschet der Wald.
Im Schlafe da gibt es nicht Hass, nicht Hohn,
im Schlafe, da ist es nicht kalt.
Schlafe, mein Liebling, und lächle, Kind,
höre, der Fluss singt sein Lied.
Schlafe, dann singt dir vom Glück der Wind
und singt dir vom Frühling, der blüht.
Schlafe mein Kind und vergiss, was dich schmerzt,
dunkel ist für dich der Tag.
Hell ist die Nacht, wenn der Traum dich herzt,
so schlafe mein Kindchen, so schlaf.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Richard Dehmel (1863-1920)
Wiegenlied für meinen Jungen
Schlaf, mein Küken – Racker, schlafe!
Kuck: im Spiegel stehn zwei Schafe,
bläkt ein großes, mäkt ein kleines,
und das kleine, das ist meines!
Bengel, Bengel, brülle nicht,
du verdammter Strampelwicht.
Still, mein süßes Engelsfüllen:
morgen schneit es Zuckerpillen,
übermorgen blanke Dreier,
nächste Woche goldne Eier,
und der liebe Gott, der lacht,
dass der ganze Himmel kracht.
Und du kommst und nimmst die Spenden,
säst sie aus mit Sonntagshänden,
und die Erde blüht von Farben,
und die Menschen tun’s in Garben
Herr, den Bengel kümmert nischt,
was man auch für Lügen drischt!
Warte nur, du Satansrachen:
heute Nacht, du kleiner Drachen,
durch den roten Höllenbogen
kommt ein Schmetterling geflogen,
huscht dir auf die Nase, hu,
deckt dir beide Augen zu;
deckt die Flügel sacht zusammen,
dass du träumst von stillen Flammen,
von zwei Flammen, die sich fanden,
Hölle Himmel still verbanden – –
so, nu schläft er; es gelang;
Himmel Hölle, Gott sei Dank!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Robert Reinick (1805-1852)
Wiegenlied im Winter
Schlaf ein, mein süßes Kind,
Da draußen singt der Wind.
Er singt die ganze Welt in Ruh’,
Deckt sie mit weißen Betten zu.
Und bläst er ihr auch ins Gesicht,
Sie rührt sich nicht und regt sich nicht,
Tut auch kein Händchen strecken
Aus ihren weichen Decken.
Schlaf ein, mein süßes Kind,
Da draußen geht der Wind.
Pocht an die Fenster und schaut hinein,
Und hört er wo ein Kind noch schrei’n,
Da schilt und brummt und summt er sehr,
Holt gleich sein Bett voll Schnee daher
Und deckt es auf die Wiegen,
Wenn’s Kind nicht still will liegen.
Schlaf ein, mein süßes Kind,
Da draußen weht der Wind.
Er rüttelt an dem Tannenbaum,
Da fliegt heraus ein schöner Traum,
Der fliegt durch Schnee, durch Nacht und Wind
Geschwind, geschwind, zum lieben Kind,
Und singt von lust’gen Dingen,
Die’s Christkind ihm wird bringen.
Schlaf ein, mein süßes Kind,
Da draußen bläst der Wind.
Doch ruft die Sonne: »Grüß’ euch Gott!«
Bläst er dem Kind die Backen rot,
Und sägt der Frühling: »Guten Tag!«
Bläst er die ganze Erde wach,
Und was fein still gelegen,
Das freut sich allerwegen.
Drum schlaf, mein süßes Kind,
Bläst draußen auch der Wind!
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Robert Reinick (1805-1852)
Wiegenlied im Herbst
Sonne hat sich müd’ gelaufen, spricht: »Nun lass ich’s
sein!«
Geht zu Bett und schließt die Augen und schläft ruhig
ein.
Sum, sum, sum,
Mein Kindchen macht es ebenso,
Mein Kindchen ist nicht dumm!
Bäumchen, das noch eben rauschte, spricht: »Was soll
das sein?
Will die Sonne nicht mehr scheinen, schlaf ich ruhig
ein!«
Sum, sum, sum,
Mein Kindchen macht es ebenso,
Mein Kindchen ist nicht dumm!
Vogel, der im Baum gesungen, spricht: »Was soll das
sein?
Will das Bäumchen nicht mehr rauschen, schlaf ich
ruhig ein!«
Sum, sum, sum,
Mein Kindchen macht es ebenso,
Mein Kindchen ist nicht dumm!
Häschen spitzt die langen Ohren, spricht: »Was soll
das sein?
Hör’ ich keinen Vogel singen, schlaf ich ruhig ein!«
Sum, sum, sum,
Mein Kindchen macht es ebenso,
Mein Kindchen ist nicht dumm!
Jäger höret auf zu blasen, spricht: »Was soll das sein? Seh’ ich keinen Hasen laufen, schlaf ich ruhig ein.«
Sum, sum, sum,
Mein Kindchen macht es ebenso,
Mein Kindchen ist nicht dumm!
Kommt der Mond und guckt herunter, spricht: »Was
soll das sein?
Kein Jäger lauscht?
Kein Häschen springt?
Kein Vogel singt?
Kein Bäumchen rauscht?
Kein Sonnenschein!
Und’s Kind allein
Sollt’ wach noch sein? -
Nein! nein! nein!
Lieb’ Kindchen macht die Augen zu,
Lieb’ Kindchen schläft schon ein!«
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Robert Reinick (1805-1852)
Wiegenlied im Sommer
Vom Berg hinabgestiegen
Ist nun des Tages Rest;
Mein Kind liegt in der Wiegen,
Die Vöglein all’ im Nest;
Nur ein ganz klein Singvögelein
Ruft weit daher im Dämmerschein:
Gut’ Nacht! gut’ Nacht!
Lieb’ Kindlein, gute Nacht!«
Das Spielzeug ruht im Schreine,
Die Kleider auf der Bank,
Ein Mäuschen ganz alleine,
Es raschelt noch im Schrank,
Und draußen steht der Abendstern
Und winkt dem Kind aus weiter Fern’:
Gut’ Nacht! gut’ Nacht!
Lieb’ Kindlein, gute Nacht!«
Die Wiege geht im Gleise,
Die Uhr pickt hin und her,
Die Fliegen nur ganz leise,
Sie summen noch daher.
Ihr Fliegen, lasst mein Kind in Ruh!
Was summt ihr ihm so heimlich zu.
Gut’ Nacht! gut’ Nacht!
Lieb’ Kindlein, gute Nacht!«
Der Vogel und die Sterne,
Die Fliegen rings umher,
Sie haben mein Kind schon gerne,
Die Engel noch viel mehr.
Sie decken’s mit den Flügeln zu
Und singen leise: »Schlaf in Ruh!
Gut’ Nacht! gut’ Nacht!
Lieb’ Kindlein, gute Nacht!«
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Robert Reinick (1805-1852)
Wiegenlied im Frühling
»Eia popeia«,
Das ist ein altes Lied;
Und wer das Lied gehöret,
Dem werden die Augen müd’:
Das Hündchen und das Kätzchen,
Am Fenstersims das Spätzchen,
Mein Kindchen selbst, mein Schätzchen,
- »Eia popeia«, -
So flink sie eben gesprungen,
5ie werden alle müd’.
»Eina popeia«,
Das ist ein altes Lied;
Der Mond hat's oft gehöret,
ist oft schon worden müd’;
Die Bäche und die Quellen,
So wach sie sich auch stellen,
Im Traum nur ziehn die Wellen,
- »Eia popeia«, -
Sobald’s die Nacht gesungen,
Wird alles, alles müd’.
»Ei popeia«,
Das ist ein altes Lied;
Doch eine singt und singt es
Und wird davon nicht müd’.
Ob’s schweigt in allen Räumen,
Ob’s blüht in allen Bäumen,
Kann schlafen nicht, noch träumen,
- »Eia popeia«, -
Eh’ nicht ihr Kindlein schlummert,
Die Mutter wird nicht müd’.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Luise Hensel (1798-1876)
Nachtgebet
Müde bin ich, geh’ zur Ruh,
Schließe beide Äuglein zu;
Vater, lass die Augen dein
Über meinem Bette sein.
Hab’ ich Unrecht heut’ getan,
Sieh’ es, lieber Gott, nicht an!
Deine Gnad’ und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut.
Alle, die mir sind verwandt,
Gott, lass ruhn in deiner Hand.
Alle Menschen, groß und klein,
Sollen dir befohlen sein.
Kranken Herzen sende Ruh,
Nasse Augen schließe zu;
Lass den Mond am Himmel stehn,
Und die stille Welt besehn!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Johann Georg Jacobi (1740-1814)
Wiegenlied für ein Mädchen
Schlummre Liebchen! bist noch klein,
Weißt vom schönen Sonnenschein,
Weißt vom Strahl des Mondenlichts,
Und von Wald und Blumen nichts;
Liebchen, schlummre, werde groß!
Sollst es sehn auf meinem Schoß.
Sollst den Glanz des Himmels sehn,
Und aus ihm die Sonne gehn
Über Wiesen frisch und grün,
Wo die blauen Veilchen blühn.
Veilchen werden dann gepflückt,
Du ans Mutterherz gedrückt.
Mir am Herzen, liebes Kind,
Spielst du froh im Morgenwind.
Über dir ist Jubelklang,
Um dich her ist Lobgesang;
Leise rauschen Baum und Fluss,
Und du fühlst den Mutterkuss.
Liebchen, schlummre; wachs heran!
Siehst in meinen Armen dann
Auch der Abendsonne Glut;
Siehst, wenn Feld und Aue ruht,
Gold und Purpur überall,
Beim Gesang der Nachtigall.
Unterm Nachtigallen-Lied
Kommt der helle Mond, und sieht
Mild herab auf dich und mich;
Alle Blumen neigen sich;
Und die Händchen falt' ich dir:
Kleiner Engel, Gott ist hier!
Gott ist hoch im Sternenglanz,
Und im niedern Veilchenkranz;
Ist, wo jener Vogel schlägt,
Und, wo dieser Arm dich trägt.
Sag' in jedem Winkel dir:
Liebes Mädchen: Gott ist hier!
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Matthias Claudius (1740-1815)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/matthias_claudius.php
Ein Wiegenlied, bei Mondschein zu singen
So schlafe nun du Kleine!
Was weinest du?
Sanft ist im Mondenscheine,
Und süß die Ruh.
Auch kommt der Schlaf geschwinder,
Und sonder Müh:
Der Mond freut sich der Kinder,
Und liebet sie.
Er liebt zwar auch die Knaben,
Doch Mädchen mehr,
Gießt freundlich schöne Gaben
Von oben her
Auf sie aus, wenn sie saugen,
Recht wunderbar;
Schenkt ihnen blaue Augen
Und blondes Haar.
Alt ist er wie ein Rabe,
Sieht manches Land;
Mein Vater hat als Knabe
Ihn schon gekannt.
Und bald nach ihren Wochen
Hat Mutter mal
Mit ihm von mir gesprochen:
Sie saß im Tal
In einer Abendstunde,
Den Busen bloß,
Ich lag mit offnem Munde
In ihrem Schoß.
Sie sah mich an, für Freude
Ein Tränchen lief,
Der Mond beschien uns beide,
Ich lag und schlief;
Da sprach sie! »Mond, oh! scheine,
Ich hab sie lieb,
Schein Glück für meine Kleine!«
Ihr Auge blieb
Noch lang am Monde kleben,
Und flehte mehr.
Der Mond fing an zu beben,
Als hörte er.
Und denkt nun immer wieder
An diesen Blick,
Und scheint von hoch hernieder
Mir lauter Glück.
Er schien mir unterm Kranze
Ins Brautgesicht,
Und bei dem Ehrentanze;
Du warst noch nicht.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Wilhelm Raabe (1831-1910)
Trauriges Wiegenlied
Schaukeln und Gaukeln -
Halb wachender Traum!
Schläfst du, mein Kindlein?
Ich weiß es kaum.
Halt zu dein Äuglein,
Draußen geht der Wind;
Spiel fort dein Träumlein,
Mein herzliebes Kind!
Draußen geht der Wind,
Reißt die Blätter vom Baum,
Reißt die Blüten vom Zweig -
Spiel fort deinen Traum!
Spiel fort deinen Traum,
Blinzäugelein!
Schaukelnd und gaukelnd
Sitz ich und wein!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Das Mäuselein
Still stand die Wiege, das Kind schlief fest,
Ein Mäuselein sich blicken lässt,
Wippelndes, trippelndes Ding!
Es dreht das Köpfchen hin und her,
Es hüpft und tänzelt kreuz und quer,
Hin und her, kreuz und quer.
Mach' kein Geräusch, o Mäuselein!
Sonst fängt mein Kind gleich an zu schrei'n.
Das Mäuselein nimmt sich wohl in Acht,
Es schleicht zur Wiege sacht, ganz sacht,
Wippelndes, trippelndes Ding!
Es schaut und schnuppert rings umher,
Wo wohl ein Krümchen Kuchen wär',
Kuchen wär', Kuchen wär',
Mach' kein Geräusch, o Mäuselein!
Sonst fängt mein Kind gleich an zu schrei'n.
Und alle Krümchen, die da sind,
Die gönnt dir alle gern mein Kind,
Wippelndes, trippelndes Ding!
Wie hat's geschmeckt dem Mäuslein doch!
's Ist eins zwei drei in seinem Loch,
Seinem Loch, seinem Loch.
Mäuselein, hast es gut gemacht:
Mein Kindlein schläft, nun gute Nacht.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Friedrich Hebbel (1813-1863)
Auf ein schlummerndes Kind
Wenn ich, o Kindlein, vor dir stehe,
Wenn ich im Traum dich lächeln sehe,
Wenn du erglühst so wunderbar,
Da ahne ich mit süßem Grauen:
Dürft' ich in deine Träume schauen,
So wär' mir Alles, Alles klar!
Dir ist die Erde noch verschlossen,
Du hast noch keine Lust genossen,
Noch ist kein Glück, was du empfingst;
Wie könntest du so süß denn träumen,
Wenn du nicht noch in jenen Räumen,
Woher du kamest, dich erging'st?
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Nun gute Nacht...
Nun gute Nacht!
Du hast für heut genug gelacht,
Doch hast du auch geweint gar sehr,
Als ob dir Leids geschehen wär'.
Das kann nicht sein!
Drum, liebes Kind, schlaf' ruhig ein.
Was deiner Mutter widerfuhr,
Das war dein ganzes Leiden nur.
So schlaf' denn ein!
Die Wieg' ist deine Welt allein,
Drin Sonn' und Mond nicht untergehn,
Noch Wolken ziehn und Winde wehn.
Das kennst noch nicht,
Und kennst, mein Kind, gar vieles nicht;
Doch weißt genug, wenn Eins du weißt,
Was Vater und was Mutter heißt.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
William Blake (1757-1827)
Wiegenlied
Süßer Traum, wölb einen Dom
über meines Kindchens Glieder!
Süßer Traum, send einen Strom
stillen, sanften Mondlichts nieder!
Süßer Schlaf, aus weichem Flaum
eine goldne Krone webe!
Süßer Schlafengel, im Traum
um des Kindchens Wiege schwebe!
Süßes Lächeln, in der Nacht
schwebe über meiner Wonne!
Süßes Mutterlächeln wacht,
sei im Leben deine Sonne!
Süße Seufzer, taubengleich,
scheucht vom Auge nicht den Schlummer!
Süßeres Lächeln, taubengleich,
scheuche Sorge dir und Kummer!
Schlafe, schlaf, mein glücklich Kind!
Alles in sein Bett nun schmiegt sich.
Schlafe, schlafe, schlaf geschwind,
deine Mutter weint und wiegt dich.
Süßes Kindchen, dein Gesicht
scheint ein Abbild heiliger Züge.
Süßes Kindchen, weinte nicht
so dein Schöpfer in der Wiege?
Weinte wohl um mich, um dich,
als ein Kind er war, ein kleines.
Schaue immer sein Gesicht
himmlisch lächeln auch auf deines.
Der ein Kind einst ward, ein kleins,
lächelt dir und mir, uns allen.
Kindeslächeln, das ist seins:
Himmel und Erd ein Wohlgefallen.
(aus dem Englischen von W. Wilhelm)
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php
Schlummerlied
Will du auf Töpfchen?
Fühlst du ein Dürstchen?
Oder ein Würstchen?
Senke dein Köpfchen.
Draußen die schwarze, kalte
Nacht ist böse und fremd.
Deine Hände falte.
Der liebe Gott küsst dein Hemd.
Gute Ruh!
Ich bin da,
Deine Mutter, Mama;
Müde wie du.
Nichts mehr sagen -
Nicht fragen -
Nichts wissen -
Augen zu.
Horch in dein Kissen:
Es atmet wie du.
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