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Friedrich Rückert (1788-1866)
Das Jahr
In einem Lande möcht’ ich wohnen,
Wo der Natur gesetzter Zwang
Hinwandeln läßt durch glüh’nde Zonen
Des Jahres unverrückten Gang;
Wo nach des Winters Regengüssen
Ein langer fester Sommer kommt
Und auch die Menschen fühlen müssen,
Dass nicht ein wirrer Wechsel frommt.
Und wäre das mir nicht beschieden,
So möcht’ ich wohnen an dem Pol,
Wo eines tiefen Winters Frieden
Ich mir ließ auch gefallen wohl;
Da muss des Menschen Geist versenken
Sich können in des Daseins Schacht
Und still sich nach den Sternen lenken
In ewig heller Winternacht.
Unselig ist der Mitte Schwanken,
Dem hier wir unterworfen sind,
Wo Stunden wechseln wie Gedanken
Und die Gedanken wie der Wind;
Wo keine ruhige Entfaltung
Erlaubt des Jahrlaufs wilde Hast
Und in verworrner Welthaushaltung
Mensch und Natur hat nirgends Rast.
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Theodor Däubler (1876 - 1934)
Die Buche
Die Buche sagt: Mein Walten bleibt das Laub.
Ich bin kein Baum mit sprechenden Gedanken,
Mein Ausdruck wird ein Ästeüberranken,
Ich bin das Laub, die Krone überm Staub.
Dem warmen Aufruf mag ich rasch vertraun,
Ich fang im Frühling selig an zu reden,
Ich wende mich in schlichter Art an jeden.
Du staunst, denn ich beginne rostigbraun!
Mein Waldgehaben zeigt sich sommerfroh.
Ich will, dass Nebel sich um Äste legen,
Ich mag das Nass, ich selber bin der Regen.
Die Hitze stirbt: ich grüne lichterloh!
Die Winterspflicht erfüll ich ernst und grau.
Doch schütt ich erst den Herbst aus meinem Wesen.
Er ist noch niemals ohne mich gewesen.
Da werd ich Teppich, sammetrote Au.
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Karoline Stahl (1776-1837)
Die vier Brüder
Vier Brüder ziehn Jahr aus Jahr ein
Im ganzen Jahr spazieren;
Doch Jeder kömmt für sich allein,
Uns Gaben zuzuführen.
Der erste kömmt mit leichtem Sinn,
In reines Blau gehüllet,
Streut Knospen, Blätter, Blüten hin,
Die er mit Düften füllet.
Der zweite tritt schon ernster auf,
Mit Sonnenschein und Regen,
Streut Blumen aus in seinem Lauf,
Der Ernte reichen Segen.
Der dritte naht mit Überfluss
Und füllet Küch und Scheune;
Bringt uns, zum süßesten Genuss,
Viel Früchte, Korn und Weine.
Verdrießlich braust der vierte her,
In Nacht und Graus gehüllet,
Sieht zürnend Wald und Wiesen leer,
die er mit Schnee erfüllet.
Wer sagt mir wer die Brüder sind,
Die so einander jagen?
Leicht rät sie wohl ein jedes Kind,
Drum brauch ich’s nicht zu sagen.
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unbekannt
Es schenke euch der Januar ...
Es schenke euch der Januar
und ebenso der Februar
und auch der Frühlingsbote März
Gesundheit und ein frohes Herz!
Dann führen Euch April und Mai
die schönste Frühlingszeit herbei.
Im Juni, Juli und August
erfreuet Euch an Sommerlust.
September und Oktoberzeit
vergehe Euch in Freudigkeit.
November lasse sich ertragen,
dann mögt Ihr im Dezember sagen
als Lob und Preis des ganzen Jahres:
Gottlob, recht schön und glücklich war es!
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Hermann von Lingg (1820-1905)
Frühlingsmorgen
Tief im Winter hör' ich's gerne,
Eh' die Sonn' hervorgewallt,
Wie durchs Dunkel aus der Ferne
Eine Morgenglocke schallt.
Im August, wenn Donner rollen,
Freut mich's wie die Windfahn' ächzt,
Und im Herbst, wenn auf den Schollen
Abends spät ein Rabe krächzt.
Doch was kann mein Herz erweitern
Wie der erste Finkenschlag,
Wie der Lerche Lied am heitern,
Wundervollen Frühlingstag?
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Friedrich von Logau (1605-1655)
Jahr-Zeiten
Im Lenzen prangt die Welt mit zarter Jungferschaft;
Im Sommer ist sie Frau, mit schwanger-sein verhaft,
Wird Mutter in dem Herbst, gibt reiche Frucht heraus,
Ist gute Wirtin, hält im Winter ratsam Haus.
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Arne Arotnow (geb. 1968)
Jahreszeiten
Wohlig wärmen Winterherde.
Wieder wackeln Weihnachtsglocken.
Wallend wirbeln Wolkenflocken -
weißlich werde Wiesenerde!
Fruchtbar färben Frühlingsregen.
Falter fluten Frühjahrslüfte.
Frohmut feiert Freudendüfte.
Freude, Freude, Florasegen!
Strahlend schön sind Sommertage.
Seelen spüren Siedehitze.
Schwitzend strotzen Sonnenblitze.
Schmerzlich surrt stets Stecherplage.
Heftig heulen Herbstunwetter.
Herzen hassen Himmelstrauer.
Häufig harren Hadesschauer.
Herren hacken Heizungsbretter.
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Heinrich Seidel (1842-1906)
Kreislauf
Wenn im März die erste Lerche singt -
O wie hold verheissungsvoll das klingt!
Horch! die Nachtigall im Rosenhag -
O wie golden bist du Frühlingstag!
Der Pirol ruft aus dem Kirschenbaum -
Sommer ist's und war doch Frühling kaum.
Ach wie bald weht Herbstresedaduft,
Und der Kranich ruft aus hoher Luft.
Nur ein Weilchen noch, dann starrt der See,
Und die Krähen krächzen über'm Schnee!
O wie hold verheißungsvoll das klingt,
Wenn im März die erste Lerche singt!
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Clemens Brentano (1778-1842)
Lieb und Leid im leichten Leben ...
Lieb und Leid im leichten Leben
Sich erheben, abwärts schweben,
Alles will das Herz umfangen,
Nur Verlangen, nie erlangen,
In dem Spiegel all ihr Bilder
Blicket milder, blicket wilder
Jugend kann doch nichts versäumen
Fort zu träumen, fort zu schäumen.
Frühling soll mit süßen Blicken
Sie entzücken und berücken,
Sommer mich mit Frucht und Myrten,
Reich bewirten, froh umgürten.
Herbst du sollst mich Haushalt lehren,
Zu entbehren, zu begehren,
Und du Winter lehr mich sterben
Mich verderben, Frühling erben.
Wasser fallen um zu springen,
Um zu klingen, um zu singen,
Schweig ich stille, wie und wo?
Trüb und froh, nur so, so!
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Gustav Falke (1853-1916)
Mancherlei Nutzen
Freuten uns an duftgen Blüten,
Die für uns im Laube glühten.
Nun, da sich auch Früchte zeigen,
Pflücken wir aus vollen Zweigen.
Kommt der Winter, nützt aufs beste,
Wärmend uns, ein dürr Geäste.
Wenn die Flammen aufwärts schlagen,
Träumen wir von Frühlingstagen.
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Wersch (geb. 1964), literaturnische.de
Urbanes Rondell
Gesicht kotzt Überdruss und Zorn,
wenn in hermeten Menschenklausen
Bildwüste, Verstandsregresse sausen.
Der Kreisellauf startet von vorn:
Man ahnt im Frühling Licht und Blüten tönen,
mit Düften vage schmeichelnd spricht Natur,
peitscht saftig buhlend jedding zu dem Schwur,
in Tag und Traum der Erosgier zu frönen.
Wild bersten Frust und Sehnens Sucht, wie Schwülen
dampft aus die Lust - ein Leidenschaftenzwitter:
Man wälzt und würgt in Sommers Nächten Schwielen
und lutscht die Schreckensküsse der Gewitter.
Bald verraucht lässt man in Rausch sich fallen.
Herbst kann kühl Verlust zum Gähnen ballen.
Viel dann schlürfen, Wein im Glas bekrallen,
heizwarm, draußen Sturm, vom Tode lallen.
Erlöschen und Kopfschmerzen. Nüchtern dehnt
Frost und kratzt an Mauern. Drin verwöhnt
man mit Zuckerfraßen fläzt und grämt
stumpf, bis Winter allen Trug verhämt.
Der Kreisellauf startet von vorn:
Bildwüste, Verstandsregresse sausen,
wenn in hermeten Menschenklausen
Gesicht kotzt Überdruss und Zorn.
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