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Clara Müller-Jahnke (1816-1905)
Frühling am Meer
Nun braust vom Felsen
zum Meeresstrand
auf Wolkenschwingen
der Sturm durchs Land;
am Dünenhange
zerschmilzt der Schnee: –
in Frühlingsjubel
erbraust die See! –
Und sprosst kein Blättchen
aus Sand und Stein,
und lacht kein Veilchen
im Sonnenschein, –
Schaumkämme blitzen
wie Blütenschnee:
in Jubelhymnen
erbraust die See! –
Wie Gottes Odem
die Luft so rein!
Ich sauge den Frühling
ins Herz hinein:
da fließt vom Auge
zertauter Schnee; –
in Sturmakkorden
erbraust die See! –
Zu meinen Häupten
die Möwe zieht,
weit über die Wasser
erschallt mein Lied:
Verweht vom Sturme
des Winters Weh –
in Frühlingsjubeln
erbraust die See!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Clara Müller-Jahnke (1816-1905)
Am Meer
Du bist mir Freund geworden,
des trag ich Freud genug;
es rauscht in Sturmakkorden,
o Meer, dein Atemzug.
Er haucht in meine Seele
ein Ahnen licht und groß –
da sinken Schuld und Fehle
wie Fesseln von mir los.
Du bist mir Freund geworden,
des trag ich Freud genug;
mich zog zu deinen Borden
ein wundersamer Zug.
Ich ließ der Palmenwälder
schwülduftende Tropennacht,
ich ließ der Weizenfelder
goldglänzende Aehrenpracht.
Vergessen hab ich lange
der Bäume früchteschwer;
ich grüße vom Dünenhange
dich, vielgeliebtes Meer!
Mich lockt aus blauen Feuchten
ein flimmernd Wellenspiel:
eine Krone seh ich leuchten,
die in die Tiefe fiel.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/rilke.php
Lied vom Meer
Capri. Piccola Marina
Uraltes Wehn vom Meer,
Meerwind bei Nacht:
du kommst zu keinem her;
wenn einer wacht,
so muss er sehn, wie er
dich übersteht:
uraltes Wehn vom Meer
welches weht
nur wie für Ur-Gestein,
lauter Raum
reißend von weit herein...
O wie fühlt dich ein
treibender Feigenbaum
oben im Mondschein.
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Friedrich Rückert (1788-1866)
O Wieg'...
O Wieg', aus der die Sonnen steigen, o heiliges Meer!
O Grab, in das die Sonnen neigen, o heiliges Meer!
O du im Duft der Nacht entfaltend den Spiegel, darein
Vom Himmel Luna schaut mit Schweigen, o heiliges Meer!
O du in stillen Mitternächten mit Wogengesang
Einklingend in der Sterne Reigen, o heiliges Meer!
Die Morgen- und die Abendröten erblühen aus dir,
Zwei Rosen deinem Garten eigen, o heiliges Meer!
Atmender Busen Amphitrites, der nieder und auf
Die Wogen sinken lässt und steigen, o heiliges Meer!
Schoß, mütterlicher, Aphrodites! gebäre dein Kind,
Um deinen Glanz der Welt zu zeigen, o heiliges Meer!
Spreng' auf den Frühlingskranz der Erde den perlenden Tau!
Denn alle Perlen sind dein eigen, o heiliges Meer!
Du sammelst alle dir entstammten Najaden der Flur
Zurück zum Nereidenreigen, o heiliges Meer!
Die Schiffe der Gedanken segeln und sinken in dir;
Atlantis ruht in deinem Schweigen, o heiliges Meer!
Der Götterbecher, der gefallen vom hohen Olymp,
Hängt tief an den Korallenzweigen, o heiliges Meer!
Ein Taucher in das Meer der Liebe ist Freimunds Gesang,
Der deinen Glanz der Welt will zeigen, o heiliges Meer!
Als wie der Mond will ich mit Sehnen mich stürzen in dich;
Lass mich aus dir als Sonne steigen, o heiliges Meer!
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Ernst Stadler (1883-1914)
Meer
Ich musste gleich zum Strand.
In meinem Blute scholl
Schon Meer. O schon den ganzen Tag. Und jetzt die Fahrt
im gelbumwitterten Vorfrühlingsabend. Rastlos schwoll
Es auf und reckte sich in einer jähen frevelhaften Süße,
wie im Spiel
Sich Geigen nach den süßen Himmelswiesen recken.
Dunkel lag der Kai. Nachtwinde wehten. Regen fiel ...
Die Böschung abwärts ... durch den Sand ... zu dir,
du Flut und Wollust schwemmende Musik,
Du treibend Glück, du Orgellied, bräutlicher Chor!
Zu meinen Füßen
Knirschen die Muscheln ... weicher Sand ...
wie Seidenmatten weich ... ich will dich grüßen,
Du lang Entbehrtes! O der Salzgeschmack,
wenn ich die Hände, die der Schaum bespritzte,
an die Lippen hebe ...
Viel Dunkles fällt. Es springen Riegel. Bilder steigen.
Um mich wird es rein. Ich schwebe
Durch Felder tiefer Bläue.
Viele Tag' und Nächte bauen
Sich vor mich hin wie Träume. Fern Verschollnes.
Fahrten übers Meer, durch Sternennächte.
Durch die Nebel. Morgengrauen
Bei Dover ... blaues Geisterlicht um Burg
und Shakespeare's Cliff, die sich der Nacht entraffen,
Und blass gekerbte Kreidefelsen, die wie Kiefer
eines toten Ungeheuers klaffen.
Sternhelle Nacht weit draußen auf der Landungsbrücke,
wo die Wellen
Wie vom Herzfeuer ihrer Sehnsucht angezündet,
Funken schleudernd, an den braunen Bohlen
sich zerschellen.
Und blauer Sommer: Sand und Kinder. Bunte Wimpel.
Sonne überm Meer,
das blüht und grünt wie eine Frühlingsau.
Und Wanderungen, fern an Englands Strand,
mit der geliebten Frau.
Und Mitternacht im Hafen von Southampton:
schwer verhängte Nacht,
darin wie Blut das Feuer der Kamine loht,
Und auf dem Schiff der Vater ...
langsam bricht es in das Schwarz, nach Frankreich zu ...
und wenig Monde später war er tot ...
Und immer diese endlos hingestreckten Horizonte.
Immer dies Getön:
frohlockender und kämpfender Choral -
Du jedem Traum verschwistert!
Du in jeder Lust und jeder Qual!
Du Tröstendes! Du Sehnsucht Zeugendes!
In dir verklärt
Sich jeder Wunsch, der in die Himmel
meiner Schicksalsfernen fährt,
Und jedes Herzensheimweh nach der Frau,
die jetzt im hingewühlten Bette liegt
Und leidet, und zu der mein Blut wie eine Möwe,
heftige Flügel schlagend, fliegt.
Du Hingesenktes, Schlummertiefes!
Horch, dein Atem sänftigt meines Herzens Schlag!
Du Sturm, du Schrei,
aufreißend Hornsignal zum Kampf,
du trägst auf weißen Rossen mich zu Tat und Tag!
Du Rastendes!
Du feierlich Bewegtes, Nacktes, Ewiges!
Du hältst die Hut
Über mein Leben, das im Schachte
deines Mutterschoßes eingebettet ruht.
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Theodor Storm (1817-1888)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_storm.php
Meeresstrand
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen -
So war es immer schon.
Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.
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