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Medien-Gedichte – Dichter · Titel · Beliebteste · Neueste

Hans Retep (geb. 1956)
www.ziemlichkraus.de/hans-retep/gedichte-fernsehen.php

Loblied auf den Fernseher

Der Fernseher
ist Nahgerät,
er bringt die Welt heran,
doch nie so nah,
dass man sie nicht
sogleich vergessen kann.

Mit ihm verkürzt man flott die Zeit,
er macht sie einfach platt;
man guckt und guckt, ein Blick zur Uhr,
kein Leben fand hier statt.

Für Kinder ist’s Idealgerät,
es macht sie taub und stumm;
sie sitzen dran wie festgeklebt
und werden langsam dumm.

Die Politik ist dankbar ihm,
er hält vom Denken ab;
so lang die Leut nur glotzen tun,
lacht man sich oben schlapp.

Der Fernseher
ist Nahgerät,
er bringt die Welt heran,
doch nie so nah,
dass man sie nicht
sogleich vergessen kann.

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Hans Retep (geb. 1956)
www.ziemlichkraus.de/hans-retep/gedichte-fernsehen.php

Morituri te salutant

Leute, Leute, habt ihr das gehört?
„GEZ will Geld von Adam Riese!“
Diese Typen sind TV-gestört:
Lang liegt Adam unterhalb der Wiese.

Doch es gibt kein Halten vor dem Tod,
ihre Geldgier darf hier nicht versagen.
Groß ist sie, die Fernseh-Anstaltsnot:
Keiner kanns Programm lebend noch ertragen.

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Hans Retep (geb. 1956)
www.ziemlichkraus.de/hans-retep/gedichte-fernsehen.php

Bücherfernsehen

Das Bücherlesen ist zur Bildung unentbehrlich,
doch gilt es vielen als beschwerlich.
Beim Fernsehen gibt es solch Beschwerlichkeit mitnichten,
drum mag man nicht gern drauf verzichten
und lässt von Büchern sich das Nötigste berichten.

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Wersch (geb. 1964), literaturnische.de

Anrufbeantworter

dieser Anschluss ist nicht
zu sprechen aber
beantwortet jede Frage
bevor sie gestellt ist
ich surre und banne fest
mein Bediener west ab privat oder mobil

der surrt auch gern
in Frühlingen Weinen Nachtigallen Bildschirmen
könnte Gesprächsteilnahme verweigern
hinter Blättern Spiegeln Koitussen
nicht zu erreichen sein

ich surre Ersatz und piepe gleich
du hast hierher gewählt
kannst dich ins Band
meines Schweigens bannen
ab jetzt neunzig Sekunden

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Wersch (geb. 1964), literaturnische.de

wurm-end

okay um okay klicken wir

auf die Projektionsflächen
in unsere Sicherheitsspeicher
laufen aus Schleifen zum Neustart

stück um stück stürzen wir

aus jedem Schirm und Netz
ohne Elektrisieren und Flimmer
fragmentiert sich die Entropie

ab

(Dieser Text in ein Bild integriert findet sich in Wortvision.)

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Matthias Claudius (1740-1815)

Ankündigung des Wandsbecker Boten

Ich bin ein Bote und nichts mehr,
Was man mir gibt, das bring’ ich her,
Gelehrte und polit’sche Mär;
Von Ali Bei und seinem Heer,
Vom Tartar-Khan, der wie ein Bär
Die Menschen frisst am schwarzen Meer
(Der ist kein angenehmer Herr),
Von Persien, wo mit seinem Speer
Der Prinz Heraklius wütet sehr.
Vom roten Gold, vom Sternenheer,
Von Unschuld, Tugend, die noch mehr
Als Gold und Sterne sind —
(Virgil lässt auch oft Verse leer),
Von dem verschwiegnen Freimaurer
Vielleicht wohl auch, doch heimlicher,
Von Fried-Traktaten, Krieg und Wehr,
Von Couriers, die von ohngefähr
Gewiss nicht reiten hin und her,
Vom Heringsfang, von Freud und Gram,
Von Bender, das der Russe nahm,
Vom Lotto, das aus Welschland kam
Und nicht Quaternen mit sich nahm,
Vom Podagra, von Hörn und Harn,
Vom Zuckerrohr in Surinam,
Vom großen Mogul und Madam,
Von Zank, Erfindungen und Lehr’,
Von klein Verdienst und großer Ehr’,
Von groß Verdienst und kleiner Ehr’
Und tausend solche Sachen mehr,
Die sich begeben ohngefähr
Und alle anzuführen schwer:
Aus allen Enden fern und nah,
Aus Asia und Afrika,
Europia und Amerika,
Und andern Ländern hie und da,
Doch nicht aus Cappadocia.
Die nackte Wahrheit lieb ich sehr,
Doch gibt man mir noch etwas mehr,
Wenn’s nur noch eine Sage war,
Und wenn’s ein Spott zur Bessrung war,
Und wenn’s ein sanftes Liedchen war,
Und wenn es sonst so etwas war,
Je nun — da bring ich’s auch mit her,
Dafür bezahlet mich mein Herr.
Als ich von Hause ging, sprach er:
Geh hin! und saget die und der,
Seht doch! wo kommt der Bote her?
So wünsche höflich dem und der
Ein fröhlich Neujahr und noch mehr
Und sprich, ich komm von Wandsbeck her.

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Jakob von Hoddis (1887-1942)

Kinematograph

Der Saal wird dunkel. Und wir sehn die Schnellen
Der Ganga, Palmen, Tempel auch des Brahma,
Ein lautlos tobendes Familiendrama
Mit Lebemännern dann und Maskenbällen.

Man zückt Revolver. Eifersucht wird rege,
Herr Piefke duelliert sich ohne Kopf.
Dann zeigt man uns mit Kiepe und mit Kropf
Die Älplerin auf mächtig steilem Wege.

Es zieht ihr Pfad sich bald durch Lärchenfelder,
Bald krümmt er sich und dräuend steigt die schiefe
Felswand empor. Die Aussicht in der Tiefe
Beleben Kühe und Kartoffelfelder.

Und in den dunklen Raum - mir ins Gesicht -
Flirrt das hinein, entsetzlich! nach der Reihe!
Die Bogenlampe zischt zum Schluss nach Licht -
Wir schieben geil und gähnend uns ins Freie.

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Klabund (1890-1928)

Als sie meine Stimme im Radio hörte

Du hörtest meine Stimme wie von fern.
Sprach ich von einem andern Stern?
Du griffst mit deinen Händen in das Leere,
Ob dort ein Leib nicht und ein Lächeln wäre.
Kein Leib. Nur Stimme. Lippe nicht. Nur Wort.
Und leise legtest du den Hörer fort.

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Karl Kraus (1874-1936)

Kino

Noch lässt sich diese Menschheit nicht begraben,
noch kann’s im Fortschritt weiter gehn.
Erst wenn sie sich ganz und gar im Film gesehn,
dann wird sie am Ende genug von sich haben.

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Karl Kraus (1874-1936)

Die Zeitung

Weißt du, der du die Zeitung liest,
wie viele Bäume mussten bluten,
damit geblendet von Valuten
du dein Gesicht in diesem Spiegel siehst,
um wieder dich an dein Geschäft zu sputen?

Weißt du, der du die Zeitung liest,
wie viele Menschen dafür sterben,
dass wenige sich Lust erwerben
und dafür, dass die Kreatur genießt
der Kreatur unsägliches Verderben?

Und kannst du, wissend, doch die Zeitung lesen?
Verhängt das Blatt des Tags dir nicht das Licht?
Wie wächst der Trug gewaltig zum Gewicht
und drohend dieser Schein zum Wesen!
Ich seh den Wald vor lauter Blättern nicht!

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Karl Kraus (1874-1936)

Radio

Hat Menschengeist Natur so aufgestört,
dass er sie zwingt, von allem, was da tönt,
ins taube Ohr der Menschheit zu ergießen?
Welch missgestimmtes Maß im Allgenießen,
wie sie Musik aus allen Sphären hört
und nichts von jedem Jammer, der da stöhnt!

O Trost und Trug der Trübsal, die vernimmt,
dass irgendwo die Unbeschwerten tanzen
und irgendwo das Leben ohne Last.
Sie selbst trägt auf dem Rücken ihren Ranzen,
und die das Schicksal an der Kehle fasst,
erfahren, dass die Sänger wohlgestimmt.

Verkehrter Fortschritt in die Weltenkluft,
den schmerzvoll die Natur zur Umkehr wendet,
auf dass die Sänger mit den Hörern tauschen.
Erfüllt vom Gram der Erde sei die Luft!
Auf allen Wellen sei das Weh gesendet,
dass alle Frohen allen Seufzern lauschen!

Misston der Menschlichkeit, Choral der Qualen,
stürz in das grausam lustverwöhnte Ohr
und lasse den Diskant der Dinge hören!
Und was als Wehlaut sich ins All verlor,
soll an dem Tag, der diese Schuld wird zahlen,
erschallen euch als die Musik der Sphären!

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Else Lasker-Schüler (1869-1945)

Komm mit mir in das Cinema...

Komm mit mir in das Cinema,
Dort findet man, was einmal war:
Die Liebe!

Liegt meine Hand in deiner Hand
Ganz übermannt im Dunkel,
Trompetet wo ein Elefant
Ganz plötzlich aus dem Dschungel -

Und schnappt nach uns aus heißem Sand
Auf seiner Filmenseide,
Ein Krokodilweib, hirnverbrannt,
Dann - küssen wir und beide!

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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php

Weltverkehr

Horch! Eine Stimme aus dem Radio rief:
»Ich bin der unbekannte Fisch Plattunde.
Ich lebe auf dem Meeresgrunde
So schätzungsweise fünfzehntausend Meter tief.
Ihr Menschen hört, ich möchte gar zu gern
Einmal den Flieger Udet kennenlern.«

In einer Höhe von genau zwölftausend
Elfhundert Metern durch die Lüfte sausend,
Erwiderte Herr Udet so:
»Mein lieber, unbekannter Fisch im Meere,
Ich habe Ihren Wunsch vernommen.
Auch ich ersehne ein Zusammenkommen.
Auf meiner Seite wäre ja die Ehre.
Bestimmen Sie per Radio
Nur bitte wann? und wie? und wo?«

Kaum war dies Zwiegespräch gesprochen,
So ward das Meeresspiegelglas
Von einem kleinen Fisch durchbrochen,
Der eine Fliege schnappte und sie fraß.

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Ferdinand von Saar (1833-1906)

Drahtklänge

Ihr dunklen Drähte, hingezogen
So weit mein Aug’ zur Ferne schweift,
Wie tönt ihr, wenn der Lüfte Wogen
In euch so wie in Saiten greift!

O welch’ ein seltsam leises Klingen,
Durchzuckt von schrillem Klagelaut,
Als hallte nach, was euren Schwingen
Zu raschem Flug ward anvertraut.

Als zitterten in euch die Schmerzen,
Als zitterte in euch die Lust,
Die ihr aus Millionen Herzen,
Verkündend, tragt von Brust zu Brust.

Und so, ihr wundersamen Saiten,
Wenn euch des Windes Hauch befällt,
Ertönt ihr in die stillen Weiten
Als Äolsharfe dieser Welt!

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Kurt Tucholsky (1890-1935)

Gebet des Zeitungslesers

Zimmer. Der Zeitungsleser im Schlafrock. Auf dem Tisch, auf Stühlen verstreut und zerknüllt, liegen Zeitungen aller Größen. In einer Ecke ein größerer Packen aufeinander geschichteter Zeitungen. An der Wand quellen aus einem Regal Zeitungen. Die Begleitmusik geht durch alle Möglichkeiten: vom Jazz bis zum Choral.

Du lieber Gott, so hör mein leises Flehen!
Tu auf den Packen hier heruntersehen!
Du lieber Gott, ich pfeif am letzten Loche:
das sind die Zeitungen von einer Woche!
Die muss ich alle, alle lesen:

Vom Bürgerkrieg bei Nord- und Südchinesen;
vom Turnerfest mit Grätsche und mit Kippe;
vom Flaggenstreit in Schaumburg-Lippe;
von Abegg, Lübeck, Ahlbeck, Becker;
von Schnillers Testamentsvollstrecker;
vom Prinz von Wales und von Richard Strauss –
das fliegt mir alles so ins Haus!
Ich kaufs auch noch. Sobald ichs seh,
fixe Idee:
»Acht-Uhr-Abendblatt! Acht-Uhr! B.Z.! Die Nachtausgabe!«

Wo nur eine Zeitung ist, da trabe
ich hin – aus Gier
nach Papier – immer nach Papier –
bleib auf der Straße stehn und lese hier:

Die westliche Ostsee ziemlich bewegt;
Pola Negri endgültig trocken gelegt;
Churchill gestürzt – die Kammer tobt;
der Papst mit Mary Wigman verlobt;
(das ist ihm recht!) – Sturm auf den Azoren;
Ludendorffs Dackel hat seinen Schwanz verloren;
in Grönland Badehosenhausse;
Pallenberg hundertmal in einer Posse;
Verfilmung des Dramas Ain und Kabels;
Prämiierung des kleinsten Damennabels;
Mussolini und das schwarze Hemd seiner Amme –
Nachrichten, Nachrichten, Telegramme, Telegramme, Telegramme –

Jazz

Was geht denn mich das an?
Das geht mich gar nichts an!
Das geht mich gar nichts an!
In den Beilagen raschelt und zischelt der Wind –
Ich bin ein armes zerlesenes Kind ...
Hat keiner mit mir Armen
Erbarmen?

Man sagt von IHM, dass ER doch auch nen Sohn hat ...
Das sind die Zeitungen von einem Monat!
Wenn ich sie seh: mich schaudert und mich graust –
was kommt da noch auf mich herabgebraust?

Choral

Befrei mich Du vom irdischen Bösen.
Warum muss ich denn Silbenrätsel lösen?
Was kostets mich für lange Stunden
bis ich: »Mätresse unter Ludwig XVI.« gefunden –
Auflösung: »Nichtswürdig ist die Nation.«
Oder: »Du sollst nicht töten, spricht der Gottessohn!«
Es ist manchmal ein Kreuz mit Deinem Wort!
nimm doch die Kreuzworträtsel fort ...
So plätschert das tagaus, tagein,
auf mich, den armen Leser herein –

Es regnet Zeitungen

Papier! Papier! Von welchem Riesenbaume
verflattert das in unserm Erdenraume?
Papier! Papier! Genug! Genug des Segens!
Ertränk mich nicht, du Flut des Zeitungsregens!

Marseillaise

Hier sind die Fahnen aller Staaten!
Allons, journaux de la patrie!
Ich kann in Zeitungen schwimmen – in Zeitungen waten –
aber ohne Zeitungen sein: das kann ich nie!
Wie sie mich quälen,
töten beinah –
Und wie sie mir fehlen,
wenn sie nicht da ...!
Was soll mir das? Was hats für einen Sinn?
Mein ganzes Leben ging in Kleinigkeiten hin ...
Am jüngsten Tage des Gerichts,
da werd ich sehn:

4. Paukenschläge

Ich kam zu nichts.
Zerteilt. Zerspielt. Zerspellt. Zerzettelt.
Mein Lebtag hab ich nur um eins gebettelt:
um Ruhe.
Du gabst sie nicht. So muss ich dienen,
als Sklave aller Rotationsmaschinen.

Du lieber Gott, gebleicht ist all mein Haar.
Hier sind die Zeitungen von einem Jahr ...!
Du hast mich ihnen gänzlich preisgegeben –
war das ein Leben – das mein Leben –?

Ich merkte, welche Tageszeit grad war,
nur am ›Matin‹, ›Paris-Midi‹, ›Le Soir‹...
Bis in die letzten Winkel meines Heims
kam deine ›Zeit‹, ›Le Temps‹, die ›Times‹ –

Verflucht die Bilder, die Plakate!
die Leitartikel, Inserate!
die Neuigkeit, die, kaum geboren, alt!
das Blatt am Baum – der ganze Blätterwald!
Verflucht! Verflucht die Menschenfibel!
verflucht die Inseratenbibel!
Ruhm: Durch die Zeitung. Heirat: durch die Zeitung.
Krieg: Durch die Zeitung. Friede: durch die Zeitung.
Nimm sie von mir! Die Zeitung triumphiert!

Totenstille. In der Musik aufgelöste Akkorde.
Ruhe nach einem Sturm, ganz sanft.

Es hilft ja nichts.
Du bist ja sicher
selber
abonniert ...

mit ausgestreckten Armen nach oben – Vorhang

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