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Rainer Maria Rilke (1875-1926)
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Engellieder
Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
und er verarmte mir in den Armen
und wurde klein, und ich wurde groß:
und auf einmal war ich das Erbarmen,
und er eine zitternde Bitte bloß.
Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, -
und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
und wir haben langsam einander erkannt...
Seit mich mein Engel nicht mehr bewacht,
kann er frei seine Flügel entfalten
und die Stille der Sterne durchspalten, -
denn er muss meiner einsamen Nacht
nicht mehr die ängstlichen Hände halten -
seit mich mein Engel nicht mehr bewacht.
Hat auch mein Engel keine Pflicht mehr,
seit ihn mein strenger Tag vertrieb,
oft senkt er sehnend sein Gesicht her
und hat die Himmel nicht mehr lieb.
Er möchte wieder aus armen Tagen
über Wälder rauschendem Ragen
meine blassen Gebete tragen
in die Heimat der Cherubim.
Dorthin trug er mein frühes Weinen
und Bedanken, und meine kleinen
Leiden wuchsen dorten zu Hainen,
welche flüstern über ihm...
Wenn ich einmal im Lebensland,
im Gelärme von Markt und Messe -
meiner Kindheit erblühte Blässe:
meinen ernsten Engel vergesse -
seine Güte und sein Gewand,
die betenden Hände, die segnende Hand, -
in meinen heimlichsten Träumen behalten
werde ich immer das Flügelfalten,
das wie eine weiße Zypresse
hinter ihm stand...
Seine Hände blieben wie blinde
Vögel, die, um Sonne betrogen,
wenn die andern über die Wogen
zu den währenden Lenzen zogen,
in der leeren, entlaubten Linde
wehren müssen dem Winterwinde.
Auf seinen Wangen war die Scham
der Bräute, die über der Seele Schrecken
dunkle Purpurdecken
breiten dem Bräutigam.
Und in den Augen lag
Glanz von dem ersten Tag, -
aber weit über allem war
ragend das tragende Flügelpaar...
Um die vielen Madonnen sind
viele ewige Engelknaben,
die Verheißung und Heimat haben
in dem Garten, wo Gott beginnt.
Und sie ragen alle nach Rang,
und sie tragen die goldenen Geigen,
und die Schönsten dürfen nie schweigen:
ihre Seelen sind aus Gesang.
Immer wieder müssen sie
klingen alle die dunklen Chorale,
die sie klangen vieltausend Male:
Gott stieg nieder aus Seinem Strahle
und du warst die schönste Schale
Seiner Sehnsucht, Madonna Marie.
Aber oft in der Dämmerung
wird die Mutter müder und müder,-
und dann flüstern die Engelbrüder,
und sie jubeln sie wieder jung.
Und sie winken mit den weißen
Flügeln festlich im Hallenhofe,
und sie heben aus den heißen
Herzen höher die eine Strophe:
Alle, die in Schönheit gehn,
werden in Schönheit auferstehn.
Gebet
Ernster Engel aus Ebenholz:
Du riesige Ruh.
Dein Schweigen schmolz
noch nie in den Bränden
von Büßerhänden.
Flammenumflehter!
Deine Beter
sind stolz:
wie du.
Der du versteinst,
du über den Blicken beginnender
König, erkiese
dir ein Geschlecht,
dem du gerecht
erscheinst,
saumsinnender
Riese.
Du, aller Matten
Furchteinflößer,
Einer ist größer
als du: dein Schatten.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Heinrich Heine (1797-1856)
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Die Engel
Freilich, ein ungläub'ger Thomas,
Glaub ich an den Himmel nicht,
Den die Kirchenlehre Romas
Und Jerusalems verspricht.
Doch die Existenz der Engel,
Die bezweifelte ich nie;
Lichtgeschöpfe sonder Mängel,
Hier auf Erden wandeln sie.
Nur, genäd'ge Frau, die Flügel
Sprech ich jenen Wesen ab;
Engel gibt es ohne Flügel,
Wie ich selbst gesehen hab.
Lieblich mit den weißen Händen,
Lieblich mit dem schönen Blick
Schützen sie den Menschen, wenden
Von ihm ab das Mißgeschick.
Ihre Huld und ihre Gnaden
Trösten jeden, doch zumeist
Ihn, der doppelt qualbeladen,
Ihn, den man den Dichter heißt.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Susanne Ulrike Maria Albrecht (geb. 1967)
susanne-ulrike-maria-albrecht.over-blog.de
Wie sprichst du zu einem Engel?
Wie sprichst du zu einem Engel?
Für einen Moment sind wir allein
Verirren uns in den Wolken
Überlege
Wenn du weißt, du bist einem
Engel begegnet, flüsterst du dann
Oder sprichst du laut?
Ich erinnere mich und sage:
Ich liebe dich!
Frei heraus
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
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Glückwunsch
Brech der lustige Sonnenschein
Mit der Tür Euch ins Haus hinein,
Dass alle Stuben so frühlingshelle;
Ein Engel auf des Hauses Schwelle
Mit seinem Glanze säume
Hof, Garten, Feld und Bäume,
Und geht die Sonne abends nie aus,
Führ er die Müden mild nach Haus.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Christian Morgenstern (1871-1914)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/morgenstern.php
Der Engel ...
»Wo bist du hin? Noch eben warst du da –
Was wandtest du dich wieder abwärts, wehe,
nach jenem Leben, das ich nicht verstehe,
und warst mir jüngst doch noch so innig nah.
Ich soll hinab mit dir in deine Welt,
aus der die Schauer der Verwesung hauchen,
ins Reich des Todes soll ich mit dir tauchen,
das wie ein Leichnam fort und fort zerfällt?
Wohl gibt es meinesgleichen, eingeweiht
in eure fürchterlichen Daseinsstufen...
Doch ich bin's nicht. Nur wie verworrnes Rufen
erschreckt das Wort mich Eurer Zeitlichkeit.
Lass mich mein Haupt verhüllen, bis du neu
mir wiederkehrst, so rein, wie ich dich liebe,
von nichts erfüllt als süßem Geistestriebe
und deinem Urbild wieder strahlend treu.«
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Karl May (1842-1912)
Dein Engel
Glaube nicht, du seist verlassen,
wenn dir kein Mensch zur Seite steht.
Lern nur den leisen Hauch erfassen,
der, wenn du klagst, dich lind umweht.
Es zieht ein sinnenfremdes Mahnen
dein geistig Wesen zu sich hin:
»Willst du, willst du denn gar nicht ahnen,
dass ich, dein Engel, bei dir bin?«
O wolle nicht darüber trauern,
dass dich kein Mensch im Herzen trägt.
Dort, jenseits unsrer Kirchhofsmauern,
gibt’s einen Puls, der für dich schlägt.
Er hat für dich schon hier geschlagen,
und fühlst du ihn, so sagt er dir:
»Du wirst auf Flügeln stets getragen;
ich bin dein Engel; glaub es mir!«
O lass dir nicht ins Auge steigen
des Leides stille Tränenflut.
Wiss, dass grad in den schmerzensreichen
Geschicken tiefe Weisheit ruht.
Grad in des Lebens schwersten Stunden
spricht tröstend dir dein Engel zu:
»Durchs Leiden hast du mich gefunden;
ich bin getrost; nun sei's auch du!«
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
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Der Schutzengel
Du bist der Vogel, dessen Flügel kamen,
wenn ich erwachte in der Nacht und rief.
Nur mit den Armen rief ich, denn dein Namen
ist wie ein Abgrund, tausend Nächte tief.
Du bist der Schatten, drin ich still entschlief,
und jeden Traum ersinnt in mir dein Samen, –
du bist das Bild, ich aber bin der Rahmen,
der dich ergänzt in glänzendem Relief.
Wie nenn ich dich? Sieh, meine Lippen lahmen.
Du bist der Anfang, der sich groß ergießt,
ich bin das langsame und bange Amen,
das deine Schönheit scheu beschließt.
Du hast mich oft aus dunklem Ruhn gerissen,
wenn mir das Schlafen wie ein Grab erschien
und wie Verlorengehen und Entfliehn, –
da hobst du mich aus Herzensfinsternissen
und wolltest mich auf allen Türmen hissen
wie Scharlachfahnen und wie Draperien.
Du: der von Wundern redet wie vom Wissen
und von den Menschen wie von Melodien
und von den Rosen: von Ereignissen,
die flammend sich in deinem Blick vollziehn, –
du Seliger, wann nennst du einmal Ihn,
aus dessen siebentem und letztem Tage
noch immer Glanz auf deinem Flügelschlage
verloren liegt...
Befiehlst du, dass ich frage?
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Hugo Ball (1886-1927)
Früh, eh der Tag...
Früh, eh der Tag seine Schwingen noch regt,
Alles noch schlummert und träumet und ruht,
Blümchen noch nickt in der Winde Hut,
Eh noch im Forste ein Vogel anschlägt,
Schreitet ein Engel
Durchs tauweiße Land
Streut uns den Segen
Mit schimmernder Hand.
Und es erwachet die Au und der Wald.
Blumen bunt reiben die Äuglein sich klar,
Staunen und flüstern in seliger Schar.
Aufstrahlt die Sonne, ein Amselruf schallt.
Aber der Engel
Zog längst schon landaus.
Flog wieder heim
In sein Vaterhaus.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Joseph von Eichendorff (1788-1857)
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Gottes Segen
Das Kind ruht aus vom Spielen,
Am Fenster rauscht die Nacht,
Die Engel Gotts im Kühlen
Getreulich halten Wacht.
Am Bettlein still sie stehen,
Der Morgen graut noch kaum.
Sie küssen's, eh sie gehen,
Das Kindlein lacht im Traum.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Christoph August Tiedge (1752-1841)
Jedoch wer Engel sucht...
Jedoch wer Engel sucht in dieses Lebens Gründen,
Der findet nie, was ihm genügt.
Wer Menschen sucht, der wird den Engel finden,
Der sich an seine Seele schmiegt.
(aus dem Gedicht "An Gleim")
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Philipp Spitta (1801-1859)
Geduld
Es zieht ein stiller Engel
Durch dieses Erdenland,
Zum Trost für Erdenmängel
Hat ihn der Herr gesandt.
In seinem Blick ist Frieden
Und milde, sanfte Huld,
O folg ihm stets hienieden,
Dem Engel der Geduld!
Er führt dich immer treulich
Durch alles Erdenleid
Und redet so erfreulich
Von einer schönern Zeit.
Denn willst du ganz verzagen,
Hat er doch guten Mut;
Er hilft das Kreuz dir tragen,
Und macht noch alles gut.
Er macht zu linder Wehmut
Den herbsten Seelenschmerz,
Und taucht in stille Demut
Das ungestüme Herz.
Er macht die finstre Stunde
Allmählich wieder hell
Und heilet jede Wunde
Gewiss, wenn auch nicht schnell.
Er zürnt nicht deinen Tränen,
Wenn er dich trösten will;
Er tadelt nicht dein Sehnen,
Nur macht er’s fromm und still.
Und wenn in Sturmes Toben
Du murrend fragst: warum?
So deutet er nach oben
Mild lächelnd, aber stumm.
Er hat für jede Frage
Nicht Antwort gleich bereit,
Sein Wahlspruch heißt: ertrage,
Die Ruhstatt ist nicht weit!
So geht er dir zur Seite
Und redet gar nicht viel
Und denkt nur in die Weite,
Ans schöne, große Ziel.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
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Der Engel
Mit einem Neigen seiner Stirne weist
er weit von sich was einschränkt und verpflichtet;
denn durch sein Herz geht riesig aufgerichtet
das ewig Kommende das kreist.
Die tiefen Himmel stehn ihm voll Gestalten,
und jede kann ihm rufen: komm, erkenn –.
Gieb seinen leichten Händen nichts zu halten
aus deinem Lastenden. Sie kämen denn
bei Nacht zu dir, dich ringender zu prüfen,
und gingen wie Erzürnte durch das Haus
und griffen dich als ob sie dich erschüfen
und brächen dich aus deiner Form heraus.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Rainer Maria Rilke (1875-1926)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/rilke.php
Die Engel
Sie haben alle müde Münde
und helle Seelen ohne Saum.
Und eine Sehnsucht (wie nach Sünde)
geht ihnen manchmal durch den Traum.
Fast gleichen sie einander alle;
in Gottes Gärten schweigen sie,
wie viele, viele Intervalle
in seiner Macht und Melodie.
Nur wenn sie ihre Flügel breiten,
sind sie die Wecker eines Winds:
als ginge Gott mit seinen weiten
Bildhauerhänden durch die Seiten
im dunklen Buch des Anbeginns.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Friedrich Rückert (1788-1866)
Mein Engelchen...
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiss entfliegen!
Gefällt dir's nicht bei uns? o sprich!
So ungeduldig seh' ich dich
Auf deinen Schwingen wiegen.
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiss entschweben!
Du wirst ja schöner jeden Tag,
Es zittert meines Herzens Schlag,
Du wirst zu schön für's Leben.
Mein Engelchen, mein Engelchen,
Du willst gewiss entwallen!
Wirst jede Stunde lieber mir,
Ich fühl's mit Furcht, ich hab' an dir
Zu großes Wohlgefallen.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Peter Hille (1854-1904)
Der Schutzengel
Ein Schatten fällt auf deine Wange,
Es ist die Wimper nur, die lange.
Ein Seufzer sucht die Himmelslust,
Von der noch warm die Traumesbrust.
Du hast das Heimweh nach dem ewigen Leben
Und fühlst dich mit uns noch im Himmel schweben,
Und kommst bald wieder.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~