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Hans-Peter Kraus (geb. 1965), www.ziemlichkraus.de
Traumbaum
Große gelbe Blätter
hängen an diesem Julimorgen
am Kirschbaum vor meinem Fenster.
Träumte ich.
Als ich am Abend von der Arbeit kam,
war alles wie sonst.
Ich aß etwas, ich las etwas.
Und dann schaute ich nach draußen:
Der Kirschbaum war weg.
Aber es gibt da keinen Zusammenhang.
Ganz bestimmt nicht.
Das kann ...
Das kann nicht sein.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Wersch (geb. 1964), literaturnische.de
Ich bin ein Traum...
Ich bin ein Traum
und kann nur sein aus dir.
Wie du erlebst
dein Grauen und die Wollust
in meinen Bildern,
bin ich lebendig,
wenn du mein Scheinen ansiehst
in Schlaf und Tag.
Denn sonst erlösche ich
in Morgens Bö.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Luise Büchner (1821-1877)
Ein Traum
Wenn oft ich einsam saß und allein,
Dann wiegte der lieblichste Traum mich ein,
Sein weicher Arm mich liebend umschlang,
Sein Mund die süßesten Lieder sang.
Er legt’ auf’s Herz sich erfrischend und mild,
Wie Tau auf dürstende Blumen quillt,
Er säuselt' um mich wie im Schilfe der Wind
Und kühlte die brennende Stirne lind.
Er war so heiter, so golden schön,
Wie die Sonne strahlt um der Berge Höh’n,
Wenn sie noch einmal aus Wolken bricht,
Eh’ in Nacht versinket ihr glänzend Licht.
Umwoben von seinem Zauberband
Vergaß ich des Lebens Schmerz und Tand,
War reich von seliger Ahnung erfüllt,
Wie einst sich des Herzens Rätsel enthüllt.
Und wenn ich traurig und müde war,
Dann schloss ich zum Traume mein Augenpaar,
Und träumte Frieden mir in die Brust,
Bis nicht mehr des Schmerzes ich war bewusst,
Bis Himmelswonne die Seele durchzog –
Ach! dass der grausame Traum nur log;
Er ist dahin, das Erwachen war schwer,
Herz, mein Herz, o, träume nicht mehr!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Wilhelm Busch (1832-1908)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/wilhelm_busch.php
Der Traum
Ich schlief. Da hatt' ich einen Traum.
Mein Ich verließ den Seelenraum.
Frei vom gemeinen Tagesleben,
Vermocht ich leicht dahinzuschweben.
So, angenehm mich fortbewegend,
Erreicht ich eine schöne Gegend.
Wohin ich schwebte, wuchs empor
Alsbald ein bunter Blumenflor,
Und lustig schwärmten um die Dolden
Viel tausend Falter, rot und golden.
Ganz nah auf einem Lilienstengel,
Einsam und sinnend, saß ein Engel,
Und weil das Land mir unbekannt,
Fragt ich: Wie nennt sich dieses Land?
Hier, sprach er, ändern sich die Dinge.
Du bist im Reich der Schmetterlinge.
Ich aber, wohlgemut und heiter,
Zog achtlos meines Weges weiter.
Da kam, wie ich so weiter glitt,
Ein Frauenbild und schwebte mit
Als ein willkommenes Geleite,
Anmutig lächelnd mir zur Seite,
Und um sie nie mehr loszulassen,
Dacht ich die Holde zu umfassen;
Doch eh ich Zeit dazu gefunden,
Schlüpft sie hinweg und ist verschwunden.
Mir war so schwül. Ich musste trinken.
Nicht fern sah ich ein Bächlein blinken.
Ich bückte mich hinab zum Wasser.
Gleich fasst ein Arm, ein kalter, blasser,
Vom Grund herauf mich beim Genick.
Zwar zog ich eilig mich zurück,
Allein der Hals war steif und krumm,
Nur mühsam dreht ich ihn herum,
Und ach, wie war es rings umher
Auf einmal traurig, öd und leer.
Von Schmetterlingen nichts zu sehn,
Die Blumen, eben noch so schön,
Sämtlich verdorrt, zerknickt, verkrumpelt.
So bin ich seufzend fortgehumpelt,
Denn mit dem Fliegen, leicht und frei,
War es nun leider auch vorbei.
Urplötzlich springt aus einem Graben,
Begleitet vom Geschrei der Raben,
Mir eine Hexe auf den Nacken
Und spornt mich an mit ihren Hacken
Und macht sich schwer wie Bleigewichte
Und drückt und zwickt mich fast zunichte,
Bis dass ich matt und lendenlahm
Zu einem finstern Walde kam.
Ein Jägersmann, dürr von Gestalt,
Trat vor und rief ein dumpfes Halt.
Schon liegt ein Pfeil auf seinem Bogen,
Schon ist die Sehne straff gezogen.
Jetzt trifft er dich ins Herz, so dacht ich,
Und von dem Todesschreck erwacht ich
Und sprang vom Lager ungesäumt,
Sonst hätt' ich wohl noch mehr geträumt.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
Der Traum
Jüngst hab' ich dich gesehn im Traum,
So lieblich saßest du behütet,
In einer Laube grünem Raum,
Von duftendem Jasmin umblütet,
Durch Zweige fiel das goldne Licht,
Aus Vogelkehlen ward gesungen,
Du saßest da, wie ein Gedicht
Von einem Blumenkranz umschlungen.
Und deine liebe Rechte trug
Das Antlitz mit so edlen Sitten,
Im Sand das aufgeschlagne Buch
Schien von dem Schoße dir geglitten;
Dich lehnend an den frischen Hag
Hauchtest du flüsternd leise Küsse,
Im Auge eine Träne lag
Wie Tau im Kelche der Narzisse.
Dich anzuschaun war meine Lust,
Zu lauschen deiner Züge Regen,
Und dennoch hätt' ich gern gewusst,
Was dich so innig mocht' bewegen?
Da bogst du sacht hinab den Zweig,
Strichst lächelnd an der Spitzenhaube,
An deine Schulter huscht' ich gleich,
Sah einen Baum in schlichtem Laube:
Und auf dem Baume saß ein Fink,
Der schleppte dürres Moos und Reisig,
»Schau her, schau wieder!« zirpt' er flink
Und förderte am Nestchen fleißig;
Er sah so keck und fröhlich aus,
Als trüg' er des Flamingo Kleider,
So sorglich hüpft' er um sein Haus,
Als fürcht' er bösen Blick und Neider.
Und wenn ein Reischen er gelegt,
Dann rief er alle Welt zu Zeugen,
Als müsse was der Garten hegt,
Blum' und Gesträuch sich vor ihm neigen;
Um deine Lippe flog ein Zug,
Wie ich ihn oft an ihr gesehen,
Und meinen Namen ließ im Flug
Sie über ihre Spalte gehen.
Schon hob ich meine Hand hinauf
Mit leisem Schlage dich zu strafen,
Allein da wacht' ich plötzlich auf
Und bin nicht wieder eingeschlafen;
Nur deiner hab' ich fortgedacht,
Säh' dich so gern am grünen Hage,
Mich dünkt, so lieb wie in der Nacht
Sah ich dich noch an keinem Tage.
Im Eise schlummern Blum' und Zweig,
Dezemberwinde schneidend wehen,
Der Garten steht im Wolkenreich,
Wo tausend schönre Gärten stehen;
So golden ist kein Sonnenschein,
Dass er wie der erträumte blinke;
Doch du, bist du nicht wirklich mein?
Und bin ich nicht dein dummer Finke?
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803)
Das Leben ist ein Traum!
Das Leben ist ein Traum!
Wir schlüpfen in die Welt und schweben
Mit jungem Zehn
Und frischem Gaum
Auf ihrem Wehn
Und ihrem Schaum,
Bis wir nicht mehr an Erde kleben:
Und dann, was ist’s, was ist das Leben?
Das Leben ist ein Traum!
Das Leben ist ein Traum!
Wir lieben, uns’re Herzen schlagen,
Und Herz an Herz
Geschmolzen kaum,
Ist Lieb’ und Scherz
Ein lichter Schaum,
Ist hingeschwunden, weggetragen!
Was ist das Leben? hör’ ich fragen:
Das Leben ist ein Traum!
Das Leben ist ein Traum!
Wir denken, zweifeln, werden Weise;
Wir teilen ein
In Art und Raum,
In Licht und Schein,
In Kraut und Baum,
Studieren und gewinnen Preise;
Dann, nah’ am Grabe, sagen Greise:
Das Leben ist ein Traum!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/goethe.php
Glück und Traum
Du hast uns oft im Traum gesehen
zusammen zum Altare gehen,
und dich als Frau, und mich als Mann.
Oft nahm ich wachend deinem Munde,
in einer unbewachten Stunde,
So viel man Küsse nehmen kann.
Das reinste Glück, das wir empfunden,
die Wollust mancher reichen Stunden
floh, wie die Zeit, mit dem Genuss.
Was hilft es mir, dass ich genieße?
Wie Träume fliehn die wärmsten Küsse,
und alle Freude wie ein Kuss.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Friedrich Hebbel (1813-1863)
Auf ein schlummerndes Kind
Wenn ich, o Kindlein, vor dir stehe,
Wenn ich im Traum dich lächeln sehe,
Wenn du erglühst so wunderbar,
Da ahne ich mit süßem Grauen:
Dürft' ich in deine Träume schauen,
So wär' mir Alles, Alles klar!
Dir ist die Erde noch verschlossen,
Du hast noch keine Lust genossen,
Noch ist kein Glück, was du empfingst;
Wie könntest du so süß denn träumen,
Wenn du nicht noch in jenen Räumen,
Woher du kamest, dich erging'st?
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Heinrich Heine (1797-1856)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/heinrich_heine.php
Ich hab im Traum geweinet...
Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumte, du lägest im Grab.
Ich wachte auf, und die Träne
Floss noch von der Wange herab.
Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumt', du verließest mich.
Ich wachte auf, und ich weinte
Noch lange bitterlich.
Ich hab im Traum geweinet,
Mir träumte, du bliebest mir gut.
Ich wachte auf, und noch immer
Strömt meine Tränenflut.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Johann Gottfried Herder (1744-1803)
Ein Traum ...
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wogen schweben
Und schwinden wir
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen's nicht) in Mitte
Der Ewigkeit.
(1. Strophe aus "Amor und Psyche auf einem Grabmal".)
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Georg Herwegh (1817-1875)
Herüber zog eine schwarze Nacht
Herüber zog eine schwarze Nacht.
Die Föhren rauschten im Sturme;
Es hat das Wetter wild zerkracht
Die Kirche mit ihrem Turme.
Zerschmettert das Kreuz; zerdrückt den Altar;
Zermalmt das Gebein in den Särgen -
Die gotischen Bögen wälzen sich
Donnernd hinab von den Bergen.
Zum Dorfe stürzt sich Turm und Chor
Als wie zu einem Grabe -
Da fährt entsetzt vom Lager empor
Und spricht zur Mutter der Knabe:
"Ach Mutter, mir träumte ein Traum so schwer,
Das hat den Schlaf mir verdorben.
Ach Mutter, mir träumte, soeben wär'
Der liebe Herr Gott gestorben."
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Friederike Kempner (1836-1901)
Kanarienvögleins Traum
Es bettet sich das Vögelein
In seinen eignen Flaum,
Es hüllet sich das Köpfchen ein,
Und träumt den schönsten Traum.
Vom blauen Himmel lebenslang,
Vom dunkelgrünen Hain,
Von seinem eigenen Gesang,
Harmonisch klingend, rein.
Von einer schönern, bessern Welt,
Bei stetem Sonnenschein,
Aus Morgenrot gewebt ein Zelt,
Darunter Groß und Klein.
Des Sängers gleichgestimmte Brust,
So treu und hochgesinnt,
In Wonne, überirdscher Lust,
Vereint die Sänger sind.
Ein schön Duett, so kühn und zart,
Wird aufgeführet bald,
Kein einz’ger Misston, rau und hart,
Aus ihren Kehlen schallt.
Nur Himmelslicht, Gerechtigkeit,
Nur Klarheit, – Himmels Bild,
Verschwunden Unbill, Neid und Leid,
Nur Englein strahlend mild.
Kanaria’s Flug, Kanaria’s Traum,
Im Himmel Sieben schwebt,
Erwachend aus dem eignen Flaum
Das Vöglein sich erhebt.
Des Käfig’s Wand, des Käfig’s Luft!
– Das Vöglein fasst sich schnell:
Die Wirklichkeit ist enge Kluft,
Der Traum ein Lebensquell.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Justinus Kerner (1786-1862)
Des Arztes Traum
Was mir ein Arzt erzählte
Von einem Traume bang,
Ich euch zum Lied erwählte,
Hört freundlich den Gesang!
Er sprach: »Ich denk' mit Schauern
Stets an den tollen Traum: –
In eines Kirchhofs Mauern
Saß ich an einem Baum.
Kein goldner Vollmond schiffte
Durchs stille Rebental,
Es zuckte durch die Lüfte
Entfernter Blitze Strahl.
Ich aber saß bekommen,
Als drohte noch was mehr,
Sprach: ›Wie bin ich gekommen
Um Mitternacht hieher?‹
Ich seufzte und ich grollte,
Da hör' ich dumpfen Schall,
Als ob die Erd' entrollte
Den Grabeshügeln all.
Der Mond aus Wolkenbergen
Auf einmal strahlend bricht,
Da seh' ich, wie aus Särgen
Steigt Leich' an Leiche dicht.
Die lenken ihre Schritte
Gerade auf mich zu,
Ich aber rief: ›Ich bitte,
Ihr Toten! kehrt zur Ruh'!‹
Schnell will ich mich erheben,
Gebannt blieb ich am Baum,
Die Leichen zu mir schweben. –
O nie vergessner Traum!
Die erste wie im Grimme
Hebt auf die schwarze Hand
Und spricht mit heller Stimme:
›Mein Tod war heißer Brand.
Du aber hast gestecket
Moschus in mich hinein,
Die Glut noch mehr gewecket,
Der Tod half mir allein.‹
Drauf mit den Knochenhänden
Die zweite weist aufs Herz
Und spricht: ›So musst' ich enden,
Hier innen saß mein Schmerz.
Du aber gabst mir Pillen
Und Tränke für die Brust,
Mein Leiden hat zu stillen
Allein der Tod gewusst.‹
Die dritte kommt geschritten
Und streckt mir hin ihr Bein:
›Hättst du dies abgeschnitten,
Würd' ich noch lebend sein.
Doch du auf meine Klagen
Sprachst: Jod und Lebertran
Heilt dich in wenig Tagen, –
Der Tod nur hat's getan.‹
Die vierte mit dem Kopfe
Stets nickte hin und her:
›Wie war mir armen Tropfe
Im Leben der so schwer!
Hättst Wasser mir gegeben
Statt China immerdar,
So wär' ich noch am Leben, –
Der Tod mein Helfer war.‹
Jetzt kommt die fünfte Leiche
An Krücken zu auf mich.
Ich kenne sie, rief: ›Weiche!
Die Erde decke dich!
Fort! fort! sie deck' euch alle,
Ihr Toten! fort vom Licht!‹
Da ruft's mit grellem Schalle:
›Arzt! mit dir ins Gericht!‹
Nun kommt der Tod gegangen!
Die Leichen singen: ›Tod!
Mit Kränzen sei umfangen,
Du Retter aus der Not!
Du Arzt, der aufgefunden
Den Balsam Grabesruh';
Du bandest unsre Wunden
Sanft mit dem Sargtuch zu.‹
Und jetzt an mir vorüber
Schwebt Tod und Leichenchor;
Schnell wird der Himmel trüber,
Das Mondlicht sich verlor.
Zum Baum, wo meine Stätte,
Ein Blitzstrahl niederkracht,
Davon bin ich im Bette
Vom tollen Traum erwacht.«
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Klabund (1890-1928)
Lass mich einmal eine Nacht...
Lass mich einmal eine Nacht
Ohne böse Träume schlafen,
Der du mich aufs Meer gebracht,
Führ mich in den lichten Hafen!
Wo die großen Schiffe ruhn,
Wo die Lauten silbern klingen,
Wo auf weißen, seidnen Schuhn,
Heilige Kellnerinnen springen.
Wo es keine Ausfahrt gibt,
Wo wir alle jene trafen,
Die wir himmlisch einst geliebt –
Lass mich schlafen... lass mich schlafen...
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Karl Kraus (1874-1936)
Traum vom Fliegen
Und wieder mir träumte, ich wäre geflogen,
und diesesmal war es doch sicherlich wahr,
denn ich hatte so leicht wie die Luft ja gewogen
und hatte die Knie an den Körper gezogen,
und es ging wie im Flug, im beherztesten Bogen
hoch über der schwergewichtigen Schar,
es war keine Täuschung, ich war nicht betrogen,
es flogen die Stunden, die Tage, das Jahr.
Mit fliegenden Hoffnungen vollgesogen,
so wach' ich mit müderen Gliedern auf.
Zu Lande ist Leben; und angelogen,
vom leichtesten Trug an der Nase gezogen,
aus allen Himmeln zur Erde geflogen,
da lieg' ich, da liegen die Lügen zuhauf.
Und trotzdem bleib' ich dem Traume gewogen,
so läuft er sich leichter, der Lebenslauf.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~