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Rainer Maria Rilke (1875-1926)
Du musst das Leben nicht verstehen...
Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/ringelnatz.php
Jung sterben
Jung sterben – in besten, noch hoffenden Jahren –
Wie schön muss das sein!
Du hättest nur Gutes, nur Frohes erfahren.
Blieb Alles dein.
Und es blieb an der Stätte, wo du begraben,
Nur Liebe zurück.
So gar nichts Trübes gekostet zu haben – – –
Wär’s nicht ein Glück?
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Johann Gaudenz von Salis-Seewis (1762-1834)
Lied im Freien
Wie schön ist's im Freien!
Bei grünenden Maien
Im Walde, wie schön!
Wie süß, sich zu sonnen,
Den Städten entronnen,
Auf luftigen Höhn!
Wo unter den Hecken
Mit goldenen Flecken
Der Schatten sich mischt,
Da lässt man sich nieder,
Von Haseln und Flieder
Mit Laubduft erfrischt.
D'rauf schlendert man weiter,
Pflückt Blumen und Kräuter
Und Erdbeern im Gehn;
Man kann sich mit Zweigen,
Erhitzet vom Steigen,
Die Wangen umwehn.
Dort heben und tunken,
Gleich blinkenden Funken,
Sich Wellchen im Bach:
Man sieht sie verrinnen
In stillem Besinnen,
Halb träumend, halb wach.
In weiten Bezirken,
Mit hangenden Birken
Und Buchen besetzt,
Gehn Dammhirsch und Rehe
In traulicher Nähe,
Von niemand gehetzt.
Am schwankenden Reisig
Hängt zwitschernd der Zeisig,
Vor Schlingen nicht bang;
Erfreut, ihn zu hören,
Sucht keiner zu stören
Des Hänflings Gesang.
Hier sträubt sich kein Pförtner,
Hier schnörkelt kein Gärtner
Kunstmäßig am Hain:
Man braucht nicht des Geldes;
Die Blumen des Feldes
Sind allen gemein.
Wie schön ist's im Freien!
Despoten entweihen
Hier nicht die Natur.
Kein kriechender Schmeichler,
Kein lästernder Heuchler
Vergiftet die Flur.
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Ernst Stadler (1883-1914)
Glück
Nun sind vor meines Glückes Stimme alle Sehnsuchtsvögel weggeflogen.
Ich schaue still den Wolken zu, die über meinem Fenster in die Bläue jagen -
Sie locken nicht mehr, mich zu fernen Küsten fortzutragen,
Wie einst, da Sterne, Wind und Sonne wehrlos mich ins Weite zogen.
In deine Liebe bin ich wie in einen Mantel eingeschlagen.
Ich fühle deines Herzens Schlag, der über meinem Herzen zuckt.
Ich steige selig in die Kammer meines Glückes nieder,
Ganz tief in mir, so wie ein Vogel, der ins flaumige Gefieder
Zu sommerdunklem Traum das Köpfchen niederduckt.
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unbekannt
Willst du glücklich sein...
Willst du glücklich sein im Leben,
trage bei zu andrer Glück;
denn die Freude, die wir geben,
kehrt ins eigene Herz zurück.
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Franz Werfel (1890-1945)
Ich habe eine gute Tat getan
Herz, frohlocke!
Ich habe eine gute Tat getan.
Nun bin ich nicht mehr einsam.
Ein Mensch lebt,
Es lebt ein Mensch,
Dem die Augen sich feuchten,
Denkt er an mich.
Herz, frohlocke:
Es lebt ein Mensch!
Nicht mehr, nein, nicht mehr bin ich einsam,
Denn ich habe eine gute Tat getan.
Nun haben die seufzenden Tage ein Ende.
Tausend gute Taten will ich tun!
Ich fühle schon,
Wie mich alles liebt,
Weil ich alles liebe.
Hinström ich voll Erkenntniswonne.
Du mein letztes, süßestes,
Klarstes, reinstes, schlichtestes Gefühl:
Wohlwollen!
Tausend gute Taten will ich tun.
Schönste Befriedigung
wird mir zuteil:
Dankbarkeit,
Dankbarkeit der Welt.
Stille Gegenstände,
Werfen sich mir in die Arme.
Stille Gegenstände,
Die ich in einer erfüllten Stunde
Wie brave Tiere streichele.
Mein Schreibtisch knarrt,
Ich weiß, er will mich umarmen.
Das Klavier versucht mein Lieblingsstück zu tönen,
Geheimnisvoll und ungeschickt
Klingen alle Saiten zusammen.
Das Buch, das ich lese,
Blättert von selbst sich auf.
Ich habe eine gute Tat getan.
Einst will ich durch die grüne Natur wandern,
Da werden mich die Bäume
Und Schlingpflanzen verfolgen.
Die Kräuter und Blumen
Holen mich ein,
Tastende Wurzeln umfassen mich schon,
Zärtliche Zweige
Binden mich fest,
Blätter überrieseln mich,
Sanft wie ein dünner,
Schütterer Wassersturz.
Viele Hände greifen nach mir,
Viele grüne Hände,
Ganz umnistet
Von Liebe und Lieblichkeit
Steh ich gefangen.
Ich habe eine gute Tat getan,
Voll Freude und Wohlwollens bin ich
Und nicht mehr einsam,
Nein, nicht mehr einsam.
Frohlocke, mein Herz!
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