Startseite ~ Dichter ~ Titel ~ Gedichtanfänge ~ Neues ~ Links ~ Rechtliches |
Theodor Fontane (1819-1898)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_fontane.php
Umsonst
Immer rascher fliegt der Funke,
Jede Dschunke und Spelunke
Wird auf Wissenschaft bereist,
Jede Sonne wird gewogen
Und in Rechnung selbst gezogen,
Was noch sonnenjenseits kreist.
Immer höhre Wissenstempel,
Immer richt'ger die Exempel,
Wie Natur es draußen treibt,
Immer klüger und gescheiter,
Und wir kommen doch nicht weiter,
Und das Lebensrätsel bleibt.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)
Nichts hat in der Welt Bestand...
Nichts hat in der Welt Bestand:
Was da kommt, muss scheiden,
und so reichen sich die Hand
immer Freud und Leiden.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Matthias Claudius (1740-1815)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/matthias_claudius.php
Der Mensch
Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr;
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wächst und zehret;
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenn's hoch kömmt, achtzig Jahr.
Dann legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Giacomo Leopardi (1798-1837)
An mich selbst
Nun wirst du ruhn für immer,
Mein müdes Herz. Es schwand der letzte Wahn,
Der ewig schien. Er schwand. Ich fühl’ es tief:
Die Hoffnung nicht allein
Auf holde Täuschung, auch der Wunsch entschlief.
So ruh für immer. Lange
Genug hast du geklopft. Nichts hier verdient
Dein reges Schlagen, keines Seufzers ist
Die Erde wert. Nur Schmerz und Langweil bietet
Das Leben, Andres nicht. Die Welt ist Kot.
Ergib dich denn! Verzweifle
Zum letzten Mal! Uns Menschen hat das Schicksal
Nur Eins geschenkt: den Tod. Verachte denn
Dich, die Natur, die schnöde
Macht, die verborgen herrscht zu unsrer Qual,
Und dieses Alls unendlich nicht’ge Öde!
(aus dem Italienischen von Paul Heyse)
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Marie Ebner-Eschenbach (1830-1916)
Im Kreise
Das eilende Schiff, es kommt durch die Wogen
wie Sturmwind geflogen.
Mit Jubel verkünden der Stimmen gar viele:
Wir nahen dem Ziele!
Der Fährmann am Steuer nur stöhnet leise:
Wir segeln im Kreise! –
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Julius Sturm (1816-1896)
Nicht in die Weite
Herz, mein Herz, nicht in der Weite,
In der Nähe wohnt das Glück!
Glaube, liebe, hoffe, leide,
Und kehr’ in dich selbst zurück.
Wüchsen über Nacht dir Flügel,
Schneller als der Sonne Strahl,
Trügst doch über Tal und Hügel
Rastlos deiner Sehnsucht Qual.
Denn die Welt kann dir nicht bieten
Das, wonach du heiß verlangst;
Denn die Welt hat keinen Frieden
Hat nur Streit und Not und Angst.
Ewig wechselnd ist ihr Streben,
Ewig wechselnd ist ihr Ziel:
Was ihr heute Rast gegeben,
Morgen ist’s der Winde Spiel.
Drum, mein Herz, nicht in der Weite,
In der Nähe such‘ das Glück!
Glaube, liebe, hoffe, leide
Und kehr‘ in dich selbst zurück.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Johann Georg Fischer (1816-1897)
Ans Ziel
Gestern ein Rieseln
Im weichen Eise,
Heute ein Bach
Auf der Frühlingsreise,
Gestern ein Kind
Mit Schleif und Band,
Heute Jungfrau
Im Festgewand; -
Wohin? Wer weiß?
Und wem der Preis?
Frage die Biene,
Wohin sie fliegt,
Frage die Hoffnung,
Wo Eden liegt.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Friedrich Hölderlin (1770-1843)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/hoelderlin.php
An die Parzen
Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Dass williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe.
Die Seele, der im Leben ihr göttlich Recht
Nicht ward, sie ruht auch drunten im Orkus nicht;
Doch ist mir einst das Heilge, das am
Herzen mir liegt, das Gedicht, gelungen,
Willkommen dann, o Stille der Schattenwelt!
Zufrieden bin ich, wenn auch mein Saitenspiel
Mich nicht hinab geleitet; Einmal
Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Li Bo (701-762)
Abschied
Das Gestern, das mich flieht, kann ich nicht halten,
Das Heute drückt mich wie ein Frauenschuh.
Die kleinen Wandervögel schon entfalten
Die Flügel herbstlich ihrer Heimat zu.
Ich steige auf den Turm, die Arme weit zu dehnen,
Und fülle meinen Becher nur mit Tränen.
Ob ich, ihr großen Dichter, euer werde?
Ich bin gekrönt, wenn mich ein Vers von euch umflicht.
Und meine Füße stampfen wohl die Erde,
Doch ach, zum Himmel tragen sie mich nicht.
Wer kann den Springbrunn mit dem Degen spalten?
Wie Öl schwimmt oben auf dem Wein die Not.
Das Gestern, das mich flieht, kann ich nicht halten.
Ich werf mich in ein steuerloses Boot;
Das Haar dem Winde flatternd preisgegeben,
Wird mich die Woge auf und nieder heben.
(der Dichter ist auch als Li Po oder Li-tai-peh bekannt; aus dem Chinesischen von Klabund)
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Hermann Löns (1866-1914)
Flugsand
Du lange, gelblichgraue Düne,
Du weites, graulichblaues Meer,
Es zuckt um meine ernste Miene
Der Dünenhafer hin und her;
Stilleinsamkeit, du spendest süße
Gefühle, lang nicht mehr gekannt,
Ich recke mich, auf meine Füße
Rinnt leis herab der gelbe Sand.
Du gelber Sand, woher getrieben
Hat dich des Windes Leidenschaft?
Wohin du fällst, da muss zerstieben,
Verwelken, dörren Saft und Kraft;
Wo sind die Städte, handelsprächtig,
Gelegen an der Ostsee Strand,
Es schrie der Nordwind, todesmächtig,
Und drüber fiel der gelbe Sand.
Es stand noch gestern, wo ich liege,
Der Möwe Nest, ein kleines Glück,
Es sucht die heuumkränzte Wiege
Vergebens heut' mein scharfer Blick;
Nach ihrem Neste schreit die Möwe
Von Strand zu Land, von Land zu Strand,
Es reckte sich der gelbe Löwe
Und drüber fiel der gelbe Sand.
Altpreußens Helden, die vor Tagen
Einst friedlich dieses Land bebaut,
Die Ordensritter, die erschlagen
Das Friedvolk unter Psalmenlaut,
Die Pommern, Polen und nach Jahren
Napoleon, als sein Grab er fand,
Wohin sind alle sie gefahren?
Stillschweigen. Darüber liegt der Sand.
Auch ich, noch jetzt so lebensmunter,
Kein Plan zu kühn, kein Wunsch zu schwer,
Von Westen steigt der Tod herunter,
Ein Ruck, ein Stoß, ich bin nicht mehr;
Und all' mein Jauchzen, all' mein Klagen,
Ein Traum, schon morgen unbekannt,
Mein Schaffen, Dichten, Tun und Sagen,
Es rollt darüber gelber Sand.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Erich Mühsam (1878-1934)
Was ist der Mensch...
Was ist der Mensch? Ein Magen, zwei Arme,
ein kleines Hirn und ein großer Mund,
und eine Seele, dass Gott erbarme! -
Was muss der Mensch? Muss schlafen und denken,
muss essen und feilschen und Karren lenken,
muss wuchern mit seinem halben Pfund.
Muss beten und lieben und fluchen und hassen,
muss hoffen und muss sein Glück verpassen -
und leiden wie ein geschundner Hund.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Christian Morgenstern (1871-1914)
www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/morgenstern.php
Schicksals-Spruch
Unhemmbar rinnt und reißt der Strom der Zeit,
in dem wir gleich verstreuten Blumen schwimmen,
unhemmbar braust und fegt der Sturm der Zeit,
wir riefen kaum, verweht sind unsre Stimmen.
Ein kurzer Augenaufschlag ist der Mensch,
den ewige Kraft auf ihre Werke tut;
ein Blinzeln - der Geschlechter lange Reihn,
ein Blick - des Erdballs Werden und Verglut.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Paul Heyse (1839-1914)
Wie soll man in der Welt...
Wie soll man in der Welt sich regen?
Wer Unrecht hat, der büßt's mit Schlägen,
Wer Recht behält, den liebt man nicht,
Und wer neutral bleibt, heißt ein Wicht.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Nikolaus Lenau (1802-1850)
Eitel nichts!
's ist eitel nichts, wohin mein Aug ich hefte!
Das Leben ist ein vielbesagtes Wandern,
Ein wüstes Jagen ists von dem zum andern,
Und unterwegs verlieren wir die Kräfte.
Ja, könnte man zum letzten Erdenziele
Noch als derselbe frische Bursche kommen,
Wie man den ersten Anlauf hat genommen,
So möchte man noch lachen zu dem Spiele.
Doch trägt uns eine Macht von Stund zu Stund,
Wie's Krüglein, das am Brunnenstein zersprang,
Und dessen Inhalt sickert auf den Grund,
So weit es ging, den ganzen Weg entlang.
Nun ist es leer; wer mag daraus noch trinken?
Und zu den andern Scherben muss es sinken.
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~
Joachim Heinrich Campe (1746-1818)
Der Ochs und das Öchslein
Öchslein
Ach, wär ich doch erst auch so groß
wie du, Papa, und hätte solche Hörner!
Ochs
Und dann?
Öchslein
Riss ich mich von der Krippe los
und lief aufs freie Feld und
speiste Halm und Körner.
Ochs
O bilde dir, mein Sohn, kein
solches Leben ein!
Du wünschest, traun! wie ich,
einst wieder Kalb zu sein.
Denn bist du groß, so wird auf
deinen Nacken
ein schweres Joch gelegt;
man spannt dich morgen früh
vor deinen Pflug und schreit
in einem fort: Ochs zieh!
Das Korn, das du gewinnst, das
wird zu Brot gebacken;
dich aber speiset man mit
Stroh und Prügeln ab;
und hast du ausgedient, so
schenkt man dir ein Grab,
zum Lohn für saure Müh, in
deines Herren Magen.
O freu dich deines Glücks in
deinen jungen Tagen!
~ ~ ~ ~ ~ ~ ~