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Joachim Ringelnatz (1883-1934)
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Pfingstbestellung
Ein Pfingstgedichtchen will heraus
ins Freie, ins Kühne.
So treibt es mich aus meinem Haus
ins Neue, ins Grüne.
Wenn sich der Himmel grau bezieht,
mich stört's nicht im geringsten.
Wer meine weiße Hose sieht,
der merkt doch: Es ist Pfingsten.
Nun hab ich ein Gedicht gedrückt,
wie Hühner Eier legen,
und gehe festlich und geschmückt -
Pfingstochse meinetwegen -
dem Honorar entgegen.
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Arno Holz (1863-1929)
Phantasus
Ihr Dach stieß fast bis an die Sterne,
vom Hof her stampfte die Fabrik,
es war die richtige Mietskaserne
mit Flur- und Leiermannsmusik!
Im Keller nistete die Ratte,
parterre gabs Branntwein, Grog und Bier,
und bis ins fünfte Stockwerk hatte
das Vorstadtelend sein Quartier.
Dort saß er nachts vor seinem Lichte
- duck nieder, nieder, wilder Hohn! -
und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, eine verlorner Sohn!
Sein Stübchen konnte gerade fassen
ein Tischchen und ein schmales Bett;
er war so arm und so verlassen,
wie jener Gott aus Nazareth!
Doch pfiff auch dreist die feile Dirne,
die Welt, ihn aus: Er ist verrückt!
Ihm hatte leuchtend auf die Stirne
der Genius seinen Kuss gedrückt.
Und wenn vom holden Wahnsinn trunken
er zitternd Vers an Vers gereiht,
dann schien auf ewig ihm versunken
die Welt und ihre Nüchternheit.
In Fetzen hing ihm seine Bluse,
sein Nachbar lieh ihm trocknes Brot,
er aber stammelte: O Muse!
und wusste nichts von seiner Not.
Er saß nur still vor seinem Lichte,
allnächtlich, wenn der Tag entflohn,
und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, ein verlorner Sohn!
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Christian Wernicke (1661-1725)
Schweigen und Reden
Es hat ein jeder Mensch mehr Fehler zu verstecken,
Als er Geschicklichkeit der Welt hat zu entdecken;
Drum kommt der immer besser an,
Wer schweigen, als wer reden kann.
Denn weil sich jener nur allein von außen zeigt,
So zeiget dieser sich von innen:
Man kann sehr viel bei dem der schweigt
Verlieren; und sehr viel bei dem der spricht, gewinnen.
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Daniel Czepko von Reigersfeld (1605-1660)
Schweigendes Hören, Hörendes Schweigen
Indem ich schweig, hab ich viel mehr von mir erfahrn,
Als vor mir ausgeschwätzt viel Weis’ in hundert Jahrn.
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William Shakespeare (1564-1616)
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Sonett XVIII
Soll ich dich einem Sommertag vergleichen?
Anmutiger, gemäßigter bist du.
Des Maies Lieblinge jagt Sturmwind von den Zweigen,
Und nur zu früh gehn Sommers Pforten zu.
Bald scheint zu heiß des Himmels Auge, bald
Umdunkelt sich sein goldner Kreis; es weilet
Das Schöne nie in seiner Wohlgestalt,
Vom Zufall, vom Naturlauf übereilet.
Du aber sollst in ewgem Sommer blühn,
Nie deiner Schönheit Eigentum veralten;
Nie soll dich Tod in seine Schatten ziehn,
Wenn ewge Zeilen dich der Zeit erhalten.
Solange Menschen atmen, Augen sehn,
So lang lebt dies, und heißt dich fortbestehn.
(aus dem Englischen von Gottlob Regis)
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Wersch (geb. 1964), literaturnische.de
sprechen wir übers sprechen...
sprechen wir übers sprechen
sprachen wir über sprachen
ich kritisiere die kritik
die übers sprechen sprechen sprechen
die über sprachen sprachen sprachen sprachen
noch kritik an der kritik der kritik
ich lache über lacher über lachen über sprachen
wer über lachen lacht lacht
(Dieser Text in ein Bild integriert findet sich in Wortvision.)
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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Spruch, Widerspruch
Ihr müsst mich nicht durch Widerspruch verwirren!
Sobald man spricht, beginnt man schon zu irren.
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Heinrich Heine (1797-1856)
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Teurer Freund! Was soll es nützen...
»Teurer Freund! Was soll es nützen,
Stets das alte Lied zu leiern?
Willst du ewig brütend sitzen
Auf den alten Liebeseiern?
Ach! das ist ein ewig Gattern,
Aus den Schalen kriechen Küchlein,
Und sie piepsen und sie flattern,
Und du sperrst sie in ein Büchlein.«
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Friedrich von Schiller (1759-1805)
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Übergang
Aber wie bin ich es müde, durch lauter Fratzen und Larven
Mich zu drängen; o führt, Verse, zu Menschen mich hin.
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Arthur Rimbaud (1854-1891)
Vokale
A schwarz E weiß I rot U grün O blau - vokale
Einst werd ich euren dunklen ursprung offenbaren:
A: schwarzer samtiger panzer dichter mückenscharen
Die über grausem stanke schwirren • schattentale.
E: helligkeit von dämpfen und gespannten leinen •
Speer stolzer gletscher • blanker fürsten • wehn von dolden.
I: purpurn ausgespienes blut gelach der Holden
Im zorn und in der trunkenheit der peinen.
U: räder • grünlicher gewässer göttlich kreisen
Ruh herdenübersäter weiden • ruh der weisen
Auf deren stirne schwarzkunst drückt das mal.
O: seltsames gezisch erhabener posaunen •
Einöden durch die erd- und himmelsgeister raunen.
Omega - ihrer augen veilchenblauer strahl.
(aus dem Französischen von Stefan George)
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Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)
Was ist die Welt?
Was ist die Welt? Ein ewiges Gedicht,
Daraus der Geist der Gottheit strahlt und glüht,
Daraus der Wein der Weisheit schäumt und sprüht,
Daraus der Laut der Liebe zu uns spricht
Und jedes Menschen wechselndes Gemüt,
Ein Strahl ists, der aus dieser Sonne bricht,
Ein Vers, der sich an tausend andre flicht,
Der unbemerkt verhallt, verlischt, verblüht.
Und doch auch eine Welt für sich allein,
Voll süß-geheimer, nievernommner Töne,
Begabt mit eigner, unentweihter Schöne,
Und keines andern Nachhall, Widerschein.
Und wenn du gar zu lesen drin verstündest,
Ein Buch, das du im Leben nicht ergründest.
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Heinrich Heine (1797-1856)
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Wenn du gute Augen hast...
Wenn du gute Augen hast,
Und du schaust in meine Lieder,
Siehst du eine junge Schöne
Drinnen wandeln auf und nieder.
Wenn du gute Ohren hast,
Kannst du gar die Stimme hören,
Und ihr Seufzen, Lachen, Singen
Wird dein armes Herz betören.
Denn sie wird, mit Blick und Wort,
Wie mich selber dich verwirren;
Ein verliebter Frühlingsträumer,
Wirst du durch die Wälder irren.
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Hugo von Hofmannsthal (1874-1929)
Worte
Manche Worte gibt’s, die treffen wie Keulen. Doch manche
Schluckst du wie Angeln und schwimmst weiter und weißt es noch nicht.
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Joseph von Eichendorff (1788-1857)
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Wünschelrute
Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.
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