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Gottfried Keller (1819-1890)
Melancholie
Sei mir gegrüßt, Melancholie,
Die mit dem leisen Feenschritt
Im Garten meiner Phantasie
Zu rechter Zeit ans Herz mir tritt!
Die mir den Mut, wie eine junge Weide,
Tief an den Rand des Lebens biegt,
Doch dann in meinem bittren Leide
Voll Treue mir zur Seite liegt!
Die mir der Wahrheit Spiegel hält,
Den düster blitzenden, empor,
Dass der Erkenntnis Träne schwellt
Und bricht aus zagem Aug hervor.
O strenge Rache nimmst du Dunkle immer,
Wenn ich dich mehr und mehr vergaß
Ob lärmendem Geräusch und Flimmer,
Die doch an meiner Wiege saß!
Es hängt mein Herz an eitler Lust
Und an der Torheit dieser Welt;
Oft mehr als eines Weibes Brust
Ist es von Außenwerk umstellt!
Und selbst den Trost, dass ich aus eignem Streben,
Dass alles nichtig ist, erkannt,
Nimmst du und hast mein stolz Erheben
Zu Boden alsobald gewandt,
Wenn du mir lächelnd zeigst das Buch
Des Königs, den ich oft verhöhnt,
Aus dem es, wie von Erz ein Fluch:
Dass alles eitel sei! ertönt.
Und nah und ferne hör ich dann erklingen
Gleich Narrenschellen ein Getön –
O Göttin, lass mich dich umschlingen,
Nur du, nur du bist wahr und schön!
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