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Arno Holz (1863-1929)
Phantasus
Ihr Dach stieß fast bis an die Sterne,
vom Hof her stampfte die Fabrik,
es war die richtige Mietskaserne
mit Flur- und Leiermannsmusik!
Im Keller nistete die Ratte,
parterre gabs Branntwein, Grog und Bier,
und bis ins fünfte Stockwerk hatte
das Vorstadtelend sein Quartier.
Dort saß er nachts vor seinem Lichte
- duck nieder, nieder, wilder Hohn! -
und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, eine verlorner Sohn!
Sein Stübchen konnte gerade fassen
ein Tischchen und ein schmales Bett;
er war so arm und so verlassen,
wie jener Gott aus Nazareth!
Doch pfiff auch dreist die feile Dirne,
die Welt, ihn aus: Er ist verrückt!
Ihm hatte leuchtend auf die Stirne
der Genius seinen Kuss gedrückt.
Und wenn vom holden Wahnsinn trunken
er zitternd Vers an Vers gereiht,
dann schien auf ewig ihm versunken
die Welt und ihre Nüchternheit.
In Fetzen hing ihm seine Bluse,
sein Nachbar lieh ihm trocknes Brot,
er aber stammelte: O Muse!
und wusste nichts von seiner Not.
Er saß nur still vor seinem Lichte,
allnächtlich, wenn der Tag entflohn,
und fieberte und schrieb Gedichte,
ein Träumer, ein verlorner Sohn!
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